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Hans Nord

Von

Ein Mann, der sich auf vielerlei verstund,
That durch den Druck in London kund,
Daß er ein seltnes Kunststück wüßte,
Und lud auf sein erbaut Gerüste
Den künft′gen Tag die Bürger ein;
Ließ einen engen Krug und sich in Kupfer stechen;
In diesen Krug, war sein Versprechen,
Kriech ich, Hans Nord, mit Kopf und Bein
Um zehn Uhr durch den Hals hinein.
Der Preis für einen Platz soll nur acht Groschen sein.

Nun ging das Blatt durch alle Gassen.
„In einen Krug? Was? rast der Mann?
Das soll er mir wohl bleiben lassen.
Mit einem Wort, es geht nicht an;
Der dümmste Kopf muß das verstehen:
Allein acht Groschen wag′ ich dran.
Komm′, Bruder, komm′, den Narren muß ich sehen!“
Kurz, einer riß den andern fort.
Dem Pöbel folgten schon Karossen um die Wette,
Worin der Kaufmann und der Lord
Aus Gründen der Physik bewiesen, daß Hans Nord
Unmöglich Raum in einem Kruge hätte.

„Gesetzt auch“, wandte Lady ein,
„Gesetzt, dies könnte möglich sein:
So wird doch stets der Kluge fragen:
Wie kömmt der Narr denn durch den Hals hinein? –
Doch unser Kutscher schläft ganz ein,
Fahrt zu, Johann! itzt wird es neune schlagen.“

Halb London saß nunmehr an dem bestimmten Ort
Und sah den Krug erstaunt auf dem Theater stehen.
„Wird nicht das Werk bald vor sich gehen?“
Man wartet, pocht und lärmt. Indessen schlich Hans Nord
Sich heimlich mit dem Gelde fort.
Wer war nunmehr der größte Tor zu nennen?
Nord oder eine halbe Stadt,
Die sich, von Neugier blind, auf sein phantastisch Blatt
Vor seine Bühne drängen können?

Du lachst; doch weißt du auch, daß du durch gröbre List
So leicht, wohl leichter noch, zu hintergehen bist?
Was braucht wohl ein Hans Nord, versehn zum Bücherschmieren,
Was braucht er, um dich zu verführen?
Ein wunderbares Titelblatt,
Das den Betrug schon bei sich hat.
Er will die ganze Welt durch Goldtinktur kurieren;
Durch einen Schluß dich klug und glücklich demonstrieren;
Sein gründlich Wörterbuch erspart dir das Studieren;
Er lehrt ohn′ Umgang dich die Kunst zu konversieren;
Er lehrt dich, ohne Müh′ sinnreich poetisieren;
Dich ohne Kosten Wirtschaft führen;
Und glücklich läßt du dich das Wunderbare rühren,
Erstaunst und eilst und kaufst und liest –
Was denn? – daß du betrogen bist.

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Gedicht: Hans Nord von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Hans Nord“ von Christian Fürchtegott Gellert ist eine satirische Auseinandersetzung mit menschlicher Neugier, Leichtgläubigkeit und der Eitelkeit des Wissens. Es erzählt die Geschichte eines Scharlatans, der verspricht, in einen engen Krug zu kriechen, und damit eine ganze Stadt verblüfft und in seinen Bann zieht.

Die ersten Strophen beschreiben das Aufsehen, das der Ankündigung von Hans Nord auslöst. Durch geschickte Werbung, in Form eines gedruckten Blattes, entfacht er eine unglaubliche Neugier in London. Der Preis für die Teilnahme ist zwar gering, aber die Neugier und der Wunsch, dem „Narre“ zuzusehen, wie er sich in den Krug zwängt, treiben die Menschen an. Die Dichterin nutzt eine Mischung aus Ironie und Humor, um die verblüfften Reaktionen der Bürger zu schildern, die sich über die Unmöglichkeit des Unterfangens unterhalten, aber dennoch die Vorstellung nicht missen wollen.

Die eigentliche Pointe des Gedichts offenbart sich, als Hans Nord sich mit dem Eintrittsgeld davonschleicht, während die erwartungsvolle Menge auf sein Erscheinen wartet. Gellert nutzt diese Szene, um eine allgemeine Kritik an der menschlichen Neigung zur Täuschung und zur Oberflächlichkeit zu formulieren. Er deckt auf, wie leicht Menschen durch äußere Scheinargumente und verlockende Versprechungen in die Irre geführt werden können, insbesondere wenn sie von Neugier und dem Wunsch nach Sensation getrieben werden. Die Frage nach dem größeren Narren, Hans Nord oder der versammelten Menge, stellt den Kern der Moral dar.

In den letzten Strophen verallgemeinert Gellert seine Kritik und überträgt sie auf das literarische und wissenschaftliche Gebiet. Er vergleicht Hans Nord mit Schriften, die mit „wunderbaren Titelblättern“ locken und scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen. Er warnt vor der Verlockung der leichten Lösungen und der falschen Versprechungen, die in Werken lauern, die schnelle Erfolge, Heilung von Krankheiten oder einfache Wege zu Weisheit und Reichtum versprechen. Die Leser werden aufgefordert, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und zu erkennen, wie leicht sie sich von solchen Angeboten täuschen lassen können.

Zusammenfassend ist „Hans Nord“ eine humorvolle und zugleich tiefgründige Satire auf die menschliche Natur. Gellert prangert die Leichtgläubigkeit, die Neugier und die Eitelkeit der Menschen an und fordert seine Leser auf, kritisch zu denken und sich nicht von oberflächlichen Versprechungen blenden zu lassen. Das Gedicht ist eine zeitlose Mahnung, die bis heute ihre Relevanz behalten hat.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.