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Morgenlied eines Gefangenen

Von

Walt′s Gott, der Tag bricht wieder an,
Und weckt mich aus der Ruh′;
Wohlauf, betritt die Dornenbahn!
Du, meine Seele, du!

Da neben meinem Bette steht
Mein Kreuz, ich nehm es auf,
Und schick′ ein weinendes Gebet
Zum lieben Gott hinauf.

Er wird mir′s tragen helfen, ach!
Ich weiß es, Gott ist gut;
Unmächtig bin ich, krank und schwach,
Er aber giebt mir Muth;

Daß mich die Hoffnung nicht verläßt,
Geduld nicht von mir weicht,
Wenn Langeweile, wie die Pest,
Im Finstern mich beschleicht.

Wenn Schwermuth meine Seele drück,
Wenn jede Nerve dröhnt,
Wenn Satan spöttisch auf mich blickt,
Und meinen Glauben höhnt.

Wenn mich es martert, daß die Welt
So schimpflich mich verwarf,
Und wenn mir eine Thrän′ entfällt,
Weil ich nicht reden darf.

Nicht reden darf mit einem Freund,
Nicht scherzen mit dem Kind,
Soll schweigen, wie ein Menschenfeind,
Wenn Brüder um mich sind.

Wenn meine Zelle stumm und todt
Mir Brust und Geist verengt,
Und wenn wie Blut das Morgenroth
An meinen Wänden hängt;

Wenn fürchterlich das Kerkerschloß
Klirrt in mein Morgenlied,
Und wenn mein Aug′ im Felsenschooß
Nur Elend um sich sieht:

So weiß ich, Gott im Himmel giebt
Mir Armen wieder Muth,
Denn er, der die Verlaßne liebt,
Ist mir Verlaßnen gut.

Und so im Namen Jesu tret`
Ich auf die Dornenbahn,
Und glaub′ und hoff , und les′ und bet′,
Und sing′, so gut ich kann.

Bald kommt ein Tag, der mich befreit
Aus meinem Angstgedräng,
Nur Freiheit macht die Seele weit,
Und Knechtschaft macht sie eng.

Dann preis′ ich dich im weiten Raum,
Dich, Helfer in der Noth,
Und halte ohne Zwang und Zaum
Dein göttliches Gebot.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Morgenlied eines Gefangenen von Christian Friedrich Daniel Schubart

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Morgenlied eines Gefangenen“ von Christian Friedrich Daniel Schubart ist ein tiefgründiger Ausdruck von Hoffnung, Glauben und der Sehnsucht nach Freiheit, verfasst aus der Perspektive eines Gefangenen. Es offenbart die innere Welt des Dichters, der inmitten von Leid und Einsamkeit Trost und Stärke in seinem Glauben findet. Das Gedicht ist ein Zeugnis der menschlichen Widerstandsfähigkeit und der unerschütterlichen Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Die Struktur des Gedichts ist durch die Wiederholung bestimmter Motive und eine klare inhaltliche Entwicklung geprägt. Der Gefangene erwacht jeden Morgen in seiner Zelle und sieht sich den Umständen seiner Gefangenschaft gegenüber. Er beschreibt die physische und psychische Qual, die er erleidet: die Langeweile, die Schwermut, die Einsamkeit und die Unfähigkeit, sich mit anderen zu verbinden. Der Fokus liegt auf dem Kontrast zwischen der äußeren Dunkelheit und dem inneren Licht, das durch den Glauben an Gott erstrahlt. Die ständige Wiederholung von „Wenn“ zu Beginn vieler Strophen verstärkt die Aufzählung der negativen Umstände und betont das Ausmaß des Leidens.

Das zentrale Thema des Gedichts ist die unerschütterliche Hoffnung, die der Gefangene aus seinem Glauben zieht. Trotz der erdrückenden Umstände findet er Trost in der Gewissheit, dass Gott ihm beisteht. Der Verfasser drückt das Vertrauen aus, dass Gott ihm Mut gibt, ihn stärkt und ihn nicht verlässt. Die wiederholte Betonung von Gottes Güte und der Hoffnung auf Erlösung durch Jesus Christus gibt dem Gedicht eine tröstliche und erhebende Wirkung. Die im Gedicht verankerte Theologie zeichnet sich durch eine tiefe Frömmigkeit und die Akzeptanz des Leidens als Teil des Lebensweges aus.

Der Wechsel von Klagen über das Elend zur Zuversicht im Glauben erzeugt eine dynamische Spannung. Der Gefangene ist nicht nur passives Opfer seiner Umstände, sondern ergreift aktiv Maßnahmen, um die schwierige Zeit zu überstehen. Er nimmt sein „Kreuz“ auf und betet. Er liest, betet und singt, um sich selbst zu stärken und die Hoffnung auf Freiheit aufrechtzuerhalten. Das Gedicht endet mit der Vision eines Tages, an dem der Gefangene befreit wird und in Freiheit Gott preisen kann. Die abschließenden Verse sind ein Bekenntnis zum Glauben und zur Hoffnung, die ihn durch die Dunkelheit getragen haben.

Schließlich ist „Morgenlied eines Gefangenen“ ein ergreifendes Beispiel für die Fähigkeit des Menschen, in den widrigsten Umständen Trost und Stärke zu finden. Es ist ein Loblied auf den Glauben, die Hoffnung und die innere Freiheit, die selbst im Gefängnis erhalten bleiben kann. Durch Schubarts Worte wird nicht nur das Leid des Gefangenen greifbar, sondern auch die unerschütterliche Stärke des menschlichen Geistes, die sich in der Verbundenheit mit Gott offenbart.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.