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Der Traum

Von

Ein seltner Traum hielt magisch mich umfangen
Und zauberte mir Wunderbilder vor.
Des Haines Wipfel rauschten, und es drangen
Die Sterne golden durch der Wolken Flor.
Das Meer war still, und in den weiten Fluthen
Verlohren sich der Abendröthe Gluthen.

Ich wandelte allein am öden Strande,
Und tief im Busen regte sich mein Schmerz.
Ich wünschte mich zurück in ferne Lande –
Des Heimwehs Qualen füllten bang mein Herz.
Den vollen Mond begrüssten meine Thränen,
Denn mich ergriff ein allgewaltig Sehnen.

Da hob sich aus des Meeres dunkler Bläue
Ein leichter Nebel neben mir empor,
Und es erklang wie Geisterton der Weihe
Melodisch eine Sprache meinem Ohr,
Wie nimmer noch mein trunkner Sinn vernommen;
Sie schien aus höhern Räumen herzukommen.

»Was seufzest Du mit bangen Klagetönen
Um das verlassne, ferne Vaterland?
Mit Deinem Loos Dich friedlich zu versöhnen,
Hat mich das Schicksal tröstend Dir gesandt;
So blicke denn mit kindlichem Vertrauen
Zu jenen Sternenhöhen, die wir schauen.

Dort ist die Heimath, die, vom Wahn verblendet,
Der Sterbliche sich schon auf Erden träumt.
Erst wenn sein dumpfes Pflanzenleben endet,
Und aus der Ahndung ihm Erfüllung keimt –
Erst dann gewährt der weisen Vorsicht Hand
In jenen Sphären ihm ein ächtes Vaterland.«

Wie Silberlaut′ aus Harfensaiten quellen,
So drang die Stimme tief mir in die Brust,
Und hob mich auf des Wohllauts goldnen Wellen
Aus Bangigkeit zu neuer Lebenslust,
Und frischen Muth – des Daseyns schönste Blüthe,
Fühlt ich seitdem im ahnenden Gemüthe.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Traum von Charlotte von Ahlefeld

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Traum“ von Charlotte von Ahlefeld ist eine romantische Reflexion über Sehnsucht, Heimweh und die Suche nach dem wahren Zuhause. Die Autorin beschreibt in traumhaften Bildern eine Nacht am Meer, in der sie von einem übernatürlichen Wesen getröstet und über die wahre Natur des Lebens aufgeklärt wird. Die melancholische Stimmung des Anfangs, geprägt von Einsamkeit und Heimweh, wird durch die Begegnung mit der geheimnisvollen Stimme in eine neue, hoffnungsvolle Perspektive verwandelt.

Das Gedicht lässt sich in drei Hauptabschnitte gliedern. Zunächst wird die melancholische Grundstimmung beschrieben: Die Erzählerin wandelt allein am Strand, gequält von Heimweh und Sehnsucht nach einem fernen Land. Die Natur wird in dieser Phase als Kulisse der Traurigkeit dargestellt: Das Meer ist still, die Abendröte verglüht und die Sterne scheinen durch die Wolken zu dringen. Diese Bilder dienen dazu, die innere Verfassung der Erzählerin zu spiegeln, die sich nach Trost sehnt. In der zweiten Phase erscheint aus dem Meer ein Nebel, aus dem eine Stimme spricht, die die Erzählerin tröstet und ihr eine neue Sichtweise auf die Welt eröffnet.

Die Stimme, die aus dem Nebel erklingt, vermittelt die zentrale Botschaft des Gedichts: Das wahre Zuhause ist nicht das irdische Vaterland, nach dem sich die Erzählerin sehnt, sondern eine spirituelle Sphäre, die erst nach dem Tod erreicht wird. Diese Lehre, vermittelt durch die Metapher der Sterne und der höheren Räume, versöhnt die Erzählerin mit ihrem Schicksal und schenkt ihr neuen Mut und Lebensfreude. Die Verwendung von Bildern wie „Geisterton der Weihe“ und „Harfensaiten“ unterstreicht die ätherische und überirdische Qualität der Botschaft und der Stimme, die sie überbringt.

Die abschließenden Verse zeugen von der transformierenden Wirkung der Begegnung. Die Erzählerin wird von der Bangigkeit befreit und erlebt eine neue Lebenslust, die „des Daseyns schönste Blüthe“ in ihrem Gemüt entfaltet. Diese Verwandlung von Trauer in Freude und von Sehnsucht in Hoffnung ist der zentrale thematische Bogen des Gedichts. Durch die Betonung des Vertrauens, der „kindlichen“ Hingabe und der Hoffnung auf ein ewiges Zuhause reflektiert das Gedicht typisch romantische Ideale von Transzendenz und der Suche nach einer tieferen Bedeutung im Leben.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.