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Der junge Gelehrte

Von

Ein junger Mensch, der viel studierte,
Und, wie die Eltern ganz wohl sahn,
Was Großes schon im Schilde führte,
Sprach einen Greis um solche Schriften an,
Die stark und sinnreich denken lehrten,
Mit einem Wort, die zum Geschmack gehörten.
Der Alte ward von Herzen froh
Und lobt‘ ihm den Homer, den Plato, Cicero
Und hundert mehr aus alt und neuer Zeit,
Die mit den heil’gen Lorbeerkränzen
Der Dichtkunst und Wohlredenheit,
Umleuchtet von der Ewigkeit,
Den Jünglingen entgegenglänzen.
„O!“ hub der junge Mensch mit stolzem Lächeln an:
„Ich habe sie fast alle durchgelesen;
Allein -“ „Nun gut“, sprach der gelehrte Mann,
„Sind sie nach Seinem Sinn gewesen:
So muß Er sie noch zweimal lesen;
Doch sind sie Ihm nicht gut genug gewesen:
So sag‘ Er’s ja den Klugen nicht;
Denn sonst erraten sie, woran es Ihm gebricht,
Und heißen Ihn die Zeitung lesen.“

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Gedicht: Der junge Gelehrte von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der junge Gelehrte“ von Christian Fürchtegott Gellert ist eine pointierte Satire auf oberflächliches Wissen und die Selbstüberschätzung junger Intellektueller. Es schildert die Begegnung eines jungen, wissbegierigen Mannes mit einem erfahrenen Gelehrten, der ihm bedeutende Werke der Weltliteratur empfiehlt. Doch der junge Mann entgegnet stolz, er habe diese bereits „fast alle durchgelesen“, woraufhin der alte Gelehrte ihn mit feiner Ironie belehrt.

Die entscheidende Pointe liegt in der Antwort des Greises: Wer die großen Werke der Literatur und Philosophie bereits gelesen hat und sie als wertvoll erkannt hat, der müsse sie wiederholt studieren, um ihr wahres Wesen zu erfassen. Wer sie jedoch als belanglos empfindet, sollte dies lieber für sich behalten, da dies nur seine eigene Unreife entlarven würde. Besonders die spöttische Bemerkung, dass er dann lieber „die Zeitung lesen“ solle, macht deutlich, dass wahre Bildung nicht aus bloßer Lektüre besteht, sondern aus tiefgehender Auseinandersetzung.

Gellerts Gedicht kritisiert damit das bloße Anhäufen von Wissen ohne echtes Verständnis. Es mahnt dazu, sich mit Literatur nicht nur oberflächlich zu beschäftigen, sondern sie in ihrer Tiefe zu erfassen. Gleichzeitig spiegelt es eine zeitlose Thematik wider: die Kluft zwischen jugendlichem Ehrgeiz und der Einsicht erfahrener Weisheit. Die feine Ironie des Gedichts macht es zu einer unterhaltsamen, aber zugleich lehrreichen Reflexion über den Wert von Bildung und wahrem Verständnis.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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