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Den Vogel an den Federn!

Von

Gegenüber der Hofburg steht
Der Thurm der Kathedrale,
Drauf des Landes Banner weht
Prunkhaft im Sonnenstrahle.

Sein Nest an der Stange flicht
Ein Vogel dort alljährlich:
Ward ihr des Baues Gewicht,
Das Picken der Jungen gefährlich?

Hat mitgeholfen der Wind,
Die Zeit mit zermalmendem Zahne?
Eines Tages pfeilgeschwind
Vom Thurme stürzte die Fahne.

Der Fürst sieht vom Balkon
Des Banners Sinken und Fallen:
»Verrath und Rebellion!
Herbei zum Kampf, ihr Vasallen!

Die Meuter erklommen den Thurm,
Zu läuten des Aufstands Glocken!
Sie stürzten mein Banner im Sturm!«
So rief der Fürst erschrocken.

Das ist durch Gang und Gemach
Ein Rufen, Rennen und Schreien!
Hofdamen flüchten aufs Dach,
In den Keller die Lakaien.

Es sprengen rechts und links
Ordonnanzen und Staffeten,
Und aus den Kasernen rings
Hallt’s von Trommeln und Trompeten.

Den friedlichen Bürger verschlingt
Des Marktes Drängen und Tosen,
Der Staatsminister springt
Verkehrt in die Galahosen.

Von Bajonetten ein Strom
Quillt blitzend hervor aus den Gassen,
Es dröhnen Palast und Dom
Vom Trabe der Reitermassen.

Zur Stadt im Flügelschritt
Zieht Landsturm aller Farben
Und jammernde Bauern mit,
Ob der zertretenen Garben.

Kanonen rasseln heran,
Die Lunte glimmt schlagfertig,
Entrollt steht auf dem Plan
Das Heer, des Kampfes gewärtig.

In der Lüfte sonnigen Strom,
In der Wolken stummen Reigen
Ragt still und tief der Dom,
Am Thurm die Glocken schweigen.

Wer hat in dieß Volk hinein
Gesä’t des Unheils Samen?
Ein winziges Vögelein!
Wer nennt uns seinen Namen?

Den Namen kennt man kaum,
Er klingt fast wie Gewissen;
Man macht aus des Vogels Flaum
Allerhand Ruhekissen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Den Vogel an den Federn! von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Den Vogel an den Federn!“ von Anastasius Grün ist eine satirische Auseinandersetzung mit übertriebenen Reaktionen auf vermeintliche Bedrohungen der staatlichen Ordnung. Der Ausgangspunkt ist ein scheinbar banales Ereignis: Das Herabfallen der Fahne von einem Kirchturm. Dieses Ereignis wird vom Fürsten als Akt der Rebellion und des Verrats interpretiert, was eine Kettenreaktion auslösen.

Das Gedicht entlarvt die übertriebene Panik und die überzogenen Maßnahmen, die auf die vermeintliche Bedrohung folgen. Der Fürst schreit nach Kampf, Vasallen werden mobilisiert, und das ganze Volk wird in Aufruhr versetzt. Die Dichter verwendet eine lebendige und bildhafte Sprache, um das Chaos und die Hektik zu beschreiben. Die Hofdamen flüchten, die Lakaien verstecken sich, Ordonnanzen eilen durch die Stadt, und das Militär rückt aus. Die ironische Übertreibung der Reaktion, wie der Staatsminister, der verkehrt in seine Galahosen springt, unterstreicht die Lächerlichkeit der Situation.

Grün dekonstruiert die staatliche Macht, indem er sie als überempfindlich und überreagierend darstellt. Die eigentliche Ursache des Chaos, das kleine Vögelchen, dessen Nest am Kirchturm war, wird dabei fast vergessen. Am Ende des Gedichts, wird die eigentliche Ursache des „Unheils“ aufgedeckt: das Vögelchen und seine Aktion, die zum Herunterfallen der Fahne führte. Die eigentliche Ursache ist dabei so unbedeutend, dass sie fast in Vergessenheit gerät. Diese Erkenntnis ist aber letztlich, was die Satire ausmacht. Die Reaktion auf die vermeintliche Bedrohung ist viel schlimmer als die Ursache.

Die Ironie des Gedichts liegt in der Diskrepanz zwischen dem Auslöser (dem Vögelchen) und der daraus resultierenden Reaktion. Die übermäßige Reaktion des Fürsten und des Hofes, die militärischen Aufgebote und die allgemeine Panik stehen in krassem Widerspruch zum harmlosen Ursprung. Die letzte Strophe deutet auf die Unwichtigkeit des Vögelchens und die Möglichkeit, aus seinen Federn „Ruhekissen“ zu machen, was die Absurdität der Situation noch verstärkt. Das Gedicht ist somit eine scharfe Kritik an der übersteigerten Angst vor vermeintlichen Feinden und der daraus resultierenden Staatsräson.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.