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Seefahrers Abschied

Von

Die du fliegst in hohen Lüften,
Kleine Schwalbe, komm herab,
Weil ich dir ein Wort im Stillen
Unten zu vertrauen hab.
Sollst mir eine Feder schenken
Aus den schwarzen Flügeln dein,
Will an meine Liebe schreiben:
Herz, es muß geschieden sein!

Morgen fahr ich auf dem Meere,
Wind und Woge weiß, wohin,
Und es fragen mich die Freunde,
Was ich doch so traurig bin.
Aber Wind und Woge sprechen
Viel von Unbeständigkeit,
Und der Sklave singt zum Ruder:
„Mächtig, mächtig ist die Zeit!“

Gott, und soll ich untergehen,
Sei es in dem tiefen Meer,
Nur nicht in der Liebsten Herze,
Wo ich gern geborgen wär.
In dem stillen klaren Spiegel
Male sich mein treues Bild,
Wann um mich in Ungewittern
Die empörte Woge schwillt.

Liebe, sieh, wie Well auf Welle
Ringt nach dem ersehnten Strand:
Aber manche wird verschlungen,
Eh sie küßt das grüne Land.
Wenn du an dem Ufer wandelst,
Hüpft die Flut nach deinem Fuß:
Wogen hab ich nur und Winde,
Dir zu schicken meinen Gruß.

Wann die fernen Höhen dämmern,
Jauchzet alles nach dem Land:
Nur zwei müde Augen bleiben
Still dem Meere zugewandt.
Wann die Segel wieder glänzen,
Wann die Winde heimwärts wehn,
Laß mich auf dem Maste sitzen:
Liebe kann durch Wolken sehn.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Seefahrers Abschied von Wilhelm Müller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Seefahrers Abschied“ von Wilhelm Müller thematisiert die Trennung eines Liebenden von seiner Geliebten im Angesicht einer bevorstehenden Seereise. Es verbindet Motive von Abschied, Ungewissheit, Treue und Vergänglichkeit zu einem melancholischen und gleichzeitig innig gefühlvollen Bild des Liebesschmerzes. Die See dient dabei als zentrales Symbol für die Unbeständigkeit des Lebens und die Bedrohung, die über der Liebe liegt.

Bereits in der ersten Strophe wird durch die zarte Geste – die Bitte um eine Feder von der Schwalbe – eine zarte, poetische Stimmung geschaffen. Das lyrische Ich will seiner Geliebten schreiben, um die Notwendigkeit des Abschieds mitzuteilen. Diese Zeile „Herz, es muß geschieden sein!“ markiert den inneren Konflikt zwischen Pflicht und Gefühl und gibt den Ton des ganzen Gedichts vor. Die Wahl der Schwalbe, die als Zugvogel auch für Ferne und Wiederkehr steht, betont die Sehnsucht und das Hoffen trotz der Trennung.

Im weiteren Verlauf kontrastieren die romantisch-sehnsuchtsvollen Gedanken des Sprechers mit der rauen Realität des Meeres. Wind und Wogen symbolisieren Unbeständigkeit und Bedrohung, und der Gesang des Rudersklaven verweist auf die Macht der Zeit, die alles verändert. Diese Verse spiegeln die Angst des lyrischen Ichs vor dem Verlust – nicht nur seines Lebens, sondern vor allem der Erinnerung im Herzen der Geliebten. Der Wunsch, in ihrem „stillen klaren Spiegel“ als treues Bild bewahrt zu bleiben, zeugt von tiefer Liebe und der Hoffnung auf Unvergänglichkeit.

Die letzten Strophen verstärken die Tragik der Entfernung. Die Wellen werden zu Symbolen unerfüllter Hoffnung – viele erreichen das Ufer nicht. Der Sprecher bleibt in Gedanken stets bei der Geliebten, die vielleicht sorglos am Ufer wandelt, während er ihr lediglich Wind und Wellen als Gruß senden kann. Schließlich tritt die Vorstellung einer möglichen Rückkehr auf: Doch selbst wenn das Schiff heimkehrt, bleibt offen, ob die Liebe Bestand hatte. Der letzte Vers – „Liebe kann durch Wolken sehn“ – endet in einer Mischung aus Vertrauen und Wunschdenken: Die Liebe soll auch durch alle Hindernisse hindurch bestehen und erkennen.

„Seefahrers Abschied“ ist somit ein Gedicht über Trennung und Hoffnung, das mit starkem Naturbild, innerer Zerrissenheit und zärtlicher Sprache die seelische Tiefe eines Liebenden auf dem Weg ins Ungewisse einfängt. Es bringt sowohl die Melancholie des Abschieds als auch die innige Kraft der Liebe zum Ausdruck, die in der Erinnerung überdauern will.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.