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Regel für Kranke

Von

Hast du mit dem Apotheker Streit,
Es dem Arzt zu klagen vermeid;
Hast du über den Arzt zu klagen,
Sollst du′s nicht dem Apotheker sagen;
Denn sind sie auch Feinde immerdar,
So werden sie Freund am neuen Jahr,
Verkünden: der hat dies gesagt,
Und mir hat er von dir geklagt.
Wirst du nun krank in den ersten Wochen,
Die Arznei sie zusammen kochen:

»Recipe: Was er uns getan,
Rühren wir ihm jetzt doppelt an;
Zwanzig Drachmen von seinen Klagen
Mit asa foetida für den Magen.
Misceatur, detur, nebst unsrem Groll,
Alle Stunden zwei Löffel voll.«

Und stirbst du nicht in der Blütezeit
Ihrer neuen Herzinnigkeit,
Lassen sie dich so lange liegen
Bis sie selbst wieder Händel kriegen.

Merke: Zweier Gegner Klagen
Mußt du nicht hin und wider tragen;
Weißt nicht ob, die geschieden scheinen,
Sich nachmals gegen dich vereinen.

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Gedicht: Regel für Kranke von Wilhelm Hauff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Regel für Kranke“ von Wilhelm Hauff ist eine bissige Satire auf die Praktiken von Ärzten und Apothekern, die die Interessen ihrer Patienten scheinbar weniger im Blick haben als ihre eigenen Machtkämpfe und Rivalitäten. Der Dichter entlarvt die Heuchelei und den Eigennutz im medizinischen Umfeld, indem er eine vermeintliche „Regel“ für Kranke aufstellt, die in Wahrheit eine Anleitung zur Ausbeutung und Vernachlässigung der Patienten ist.

Die ersten Verse beschreiben das gespannte Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker, die sich zwar im Alltag bekriegen, aber spätestens zum Jahreswechsel ihre Streitigkeiten vergessen und gemeinsame Sache machen. Hauff suggeriert eine Art Verschwörung, in der die Patienten lediglich als Spielbälle zwischen den gegnerischen Lagern dienen. Der Kern der Satire wird in den Zeilen deutlich, in denen die Ärzte und Apotheker im Falle einer Krankheit des Patienten einen „Racheplan“ schmieden. Sie verabreichen dem Kranken eine doppelte Dosis der Beschwerden und Ärgernisse, die er ihnen verursacht hat.

Die Sprache des Gedichts ist einfach und direkt, durchsetzt mit lateinischen Fachbegriffen aus der Pharmazie wie „Recipe“ (Nimm!), „Misceatur, detur“ (Mische, gib!). Diese Terminologie verstärkt den ironischen Kontrast zwischen der vermeintlichen Professionalität der medizinischen Welt und der tatsächlichen Boshaftigkeit, die dahintersteckt. Die Wiederholung und der Reim-Rhythmus verleihen dem Gedicht eine eingängige Melodie, die die Botschaft umso wirkungsvoller macht.

Das Gedicht gipfelt in einer Warnung vor dem Tragen von „Klagen“ zwischen den gegnerischen Parteien. Der Autor macht deutlich, dass vermeintliche Feinde sich am Ende gegen den Patienten verbünden können, um ihn zu schädigen. Das Gedicht endet mit einer Mahnung zur Vorsicht und zur Vermeidung von gegenseitigen Beschuldigungen, da die vermeintlichen Rivalen letztendlich gemeinsame Sache machen und den Patienten ignorieren oder sogar schaden. Hauffs „Regel für Kranke“ ist somit eine bissige Kritik an menschlicher Schwäche und der korrumpierenden Macht von Eitelkeit und Eigennutz in einem Bereich, der eigentlich dem Wohl des Patienten dienen sollte.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.