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Das Portal

Von

I

Da blieben sie, als wäre jene Flut
zurückgetreten, deren großes Branden
an diesen Steinen wusch, bis sie entstanden;
sie nahm im Falle manches Attribut.

aus ihren Händen, welche viel zu gut
und gebend sind, um etwas festzuhalten.
Sie blieben von den Formen in Basalten
durch einen Nimbus, einen Bischofshut,

bisweilen durch ein Lächeln unterschieden,
für das ein Antlitz seiner Stunden Frieden
bewahrt hat als ein stilles Zifferblatt;

jetzt fortgerückt ins Leere ihres Tores,
waren sie einst die Muschel eines Ohres
und fingen jedes Stöhnen dieser Stadt.
II

Sehr viele Weite ist gemeint damit:
so wie mit den Kulissen einer Szene
die Welt gemeint ist; und so wie durch jene
der Held im Mantel seiner Handlung tritt: –

so tritt das Dunkel dieses Tores handelnd
auf seiner Tiefe tragisches Theater,
so grenzenlos und wallend wie Gott-Vater
und so wie Er sich wunderlich verwandelnd

in einen Sohn, der aufgeteilt ist hier
auf viele kleine beinah stumme Rollen,
genommen aus des Elends Zubehör.

Denn nur noch so entsteht (das wissen wir)
aus Blinden, Fortgeworfenen und Tollen
der Heiland wie ein einziger Akteur.
III

So ragen sie, die Herzen angehalten
(sie stehn auf Ewigkeit und gingen nie);
nur selten tritt aus dem Gefäll der Falten
eine Gebärde, aufrecht, steil wie sie,

und bleibt nach einem halben Schritte stehn
wo die Jahrhunderte sie überholen.
Sie sind im Gleichgewicht auf den Konsolen,
in denen eine Welt, die sie nicht sehn,

die Welt der Wirrnis, die sie nicht zertraten,
Figur und Tier, wie um sie zu gefährden,
sich krümmt und schüttelt und sie dennoch hält:

weil die Gestalten dort wie Akrobaten
sich nur so zuckend und so wild gebärden,
damit der Stab auf ihrer Stirn nicht fällt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Portal von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Portal“ von Rainer Maria Rilke ist eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Thema der Vergänglichkeit und der menschlichen Existenz, veranschaulicht durch die Metapher eines Portals. Die drei Strophen des Sonetts bieten jeweils einen neuen Blickwinkel auf die zentrale Idee. Im ersten Teil werden die Figuren, die das Portal schmücken, beschrieben, ihre einstige Bedeutung und die Spuren der Zeit, die sie hinterlassen hat.

Im zweiten Teil wird die Tiefgründigkeit und das „tragische Theater“ des Portals beleuchtet. Das Portal wird mit der Welt und einer Bühnenkulisse verglichen, auf der sich die Tragödie des menschlichen Lebens abspielt. Das „Dunkel dieses Toores“ wird als handelnder Akteur dargestellt, in dem sich die Tragik des menschlichen Seins manifestiert. Die Metapher des Sohnes, der in viele kleine Rollen aufgeteilt ist, deutet auf die Zersplitterung des menschlichen Wesens und die Leiden, die es erfährt. Die Zeile „Denn nur noch so entsteht (das wissen wir) / aus Blinden, Fortgeworfenen und Tollen / der Heiland wie ein einziger Akteur.“ suggeriert, dass gerade aus dem Elend, der Verzweiflung und der scheinbaren Sinnlosigkeit die Hoffnung und Erlösung geboren werden können.

Der dritte Teil thematisiert die Standhaftigkeit und das Gleichgewicht der Figuren am Portal. Trotz der Wirrnis und der Gefahren, die die Welt um sie herum birgt, bleiben sie bestehen. Die „Wirrnis“ wird durch Figuren und Tiere dargestellt, die sich krümmen und schütteln. Diese Unruhe steht im Gegensatz zur Ruhe und Stabilität der Figuren am Portal. Die Metapher der Akrobaten, die sich zuckend und wild gebärden, soll verhindern, dass der „Stab“ auf ihrer Stirn fällt. Dies deutet auf eine fragile Balance hin, die die Figuren aufrechterhalten, um nicht der Vergänglichkeit zu erliegen. Das Gedicht schwingt zwischen der Wahrnehmung der Ewigkeit und der Zerbrechlichkeit des Seins.

Insgesamt ist das Gedicht eine Reflexion über die menschliche Kondition, die Suche nach Bedeutung und die Auseinandersetzung mit den Kräften, die das Leben prägen. Rilke nutzt dabei die Metapher des Portals, um die Vergänglichkeit, die Tragik und die Hoffnung des menschlichen Daseins zu veranschaulichen. Das Gedicht lädt den Leser ein, über die Bedeutung von Zeit, Existenz und Erlösung nachzudenken.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.