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Die drei Indianer

Von

Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter,
Schmettert manche Rieseneich in Splitter,
Übertönt des Niagara Stimme,
Und mit seiner Blitze Flammenruten
Peitscht er schneller die beschäumten Fluten,
Daß sie stürzen mit empörtem Grimme.

Indianer stehn am lauten Strande,
Lauschen nach dem wilden Wogenbrande,
Nach des Waldes bangem Sterbgestöhne;
Greis der eine, mit ergrautem Haare,
Aufrecht überragend seine Jahre,
Die zwei andern seine starken Söhne.

Seine Söhne jetzt der Greis betrachtet,
Und sein Blick sich dunkler jetzt umnachtet
Als die Wolken, die den Himmel schwärzen,
Und sein Aug versendet wildre Blitze
Als das Wetter durch die Wolkenritze,
Und er spricht aus tiefempörtem Herzen:

»Fluch den Weißen! ihren letzten Spuren!
Jeder Welle Fluch, worauf sie fuhren,
Die einst Bettler unsern Strand erklettert!
Fluch dem Windhauch, dienstbar ihrem Schiffe!
Hundert Flüche jedem Felsenriffe,
Das sie nicht hat in den Grund geschmettert!

Täglich übers Meer in wilder Eile
Fliegen ihre Schiffe, giftge Pfeile,
Treffen unsre Küste mit Verderben.
Nichts hat uns die Räuberbrut gelassen,
Als im Herzen tödlich bittres Hassen:
Kommt, ihr Kinder, kommt, wir wollen sterben!«

Also sprach der Alte, und sie schneiden
Ihren Nachen von den Uferweiden,
Drauf sie nach des Stromes Mitte ringen;
Und nun werfen sie weithin die Ruder,
Armverschlungen Vater, Sohn und Bruder
Stimmen an, ihr Sterbelied zu singen.

Laut ununterbrochne Donner krachen,
Blitze flattern um den Todesnachen,
Ihn umtaumeln Möwen sturmesmunter;
Und die Männer kommen festentschlossen
Singend schon dem Falle zugeschossen,
Stürzen jetzt den Katarakt hinunter.

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Gedicht: Die drei Indianer von Nikolaus Lenau

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die drei Indianer“ von Nikolaus Lenau entfaltet in sechs Strophen ein düsteres Bild von Verzweiflung und dem Entschluss zum kollektiven Selbstmord. Es beginnt mit einer Naturschilderung eines heftigen Gewitters, das die Wucht der Naturgewalten demonstriert und eine düstere Atmosphäre schafft. Der Donner, die Blitze und die tosenden Fluten des Niagara-Falls dienen als Metaphern für die Zerstörung, die durch die Ankunft der Weißen über das Land der Indianer gebracht wurde.

In der zweiten Strophe werden drei Indianer, ein Greis und seine beiden Söhne, am Ufer des reißenden Flusses gezeigt. Der Greis, ein Symbol für Weisheit und Erfahrung, wird als ergreifende Figur dargestellt, die die Auswirkungen der Kolonialisierung auf sein Volk erlebt hat. Sein Blick verfinstert sich, seine Augen senden noch wildere „Blitze“ als das Unwetter, was seine tiefe Verbitterung und seinen Zorn widerspiegelt.

Die folgenden Strophen sind der Ausbruch dieser Verzweiflung. Der Greis verflucht die Weißen und alles, was mit ihnen in Verbindung steht – ihre Schiffe, den Wind, die Küste, das Meer selbst. Die Fluchworte sind eine Anklage gegen die Zerstörung ihrer Kultur, ihrer Lebensweise und ihres Landes. Die tägliche Ankunft der weißen Schiffe wird als „giftge Pfeile“ beschrieben, die Verderben bringen. Er spricht von der „Räuberbrut“, was das Bild der Gewalt und des Raubes verstärkt. Der Greis sieht keine andere Lösung, als mit seinen Söhnen in den Tod zu gehen.

Die letzten Strophen zeigen die Umsetzung dieses tödlichen Entschlusses. Sie lösen ihr Kanu, um in die Mitte des Flusses zu rudern. Arm in Arm singen sie ein Sterbelied, während das Gewitter tobt, Blitze zucken und Möwen sie umkreisen. Der „Todesnachen“ wird vom Katarakt mitgerissen. Das Gedicht endet mit dem Sturz der Indianer in die tosenden Wasserfälle, ein dramatisches Finale, das die aussichtslose Situation und die Verzweiflung der Indianer eindrücklich vermittelt. Es ist ein ergreifendes Zeugnis der Zerstörung, die durch die Kolonialisierung angerichtet wurde, und ein starkes Plädoyer für die Tragödie der Unterdrückung und den Verlust der kulturellen Identität.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.