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Ein Felsenherz

Von

Als Moses in der Seele höchstem Zagen,
Um Hülfe flehend, an den Fels geschlagen,
Da fühlte Mitleid selbst mit ihm der Stein;
Er öffnete des Busens starre Rinde,
Und segensreich entströmte voll und linde
Den Schmachtenden die Quelle frisch und rein. –

Ein andrer Moses, hab′ ich auch geschlagen
An einen Fels, mit banger Furcht und Zagen,
Was aus dem Innern mir entgegenquillt;
Voll Inbrunst hab′ ich heiß mit ihm gerungen,
Ich redete mit Mensch- und Engelzungen –
Es lag vor ihm der Seele ganzes Bild!

Doch kalt und stumm blieb er bei meinen Fragen,
Taub und verschlossen meinen heißen Klagen,
Ihn rührte nicht der Seele wahrster Schmerz;
Kein Quell hat lindernd sich aus ihm ergossen,
Kein Seufzer wehte, keine Thränen flossen –
Du, mehr als Stein – du warst ein Menschenherz!

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Gedicht: Ein Felsenherz von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Felsenherz“ von Luise Büchner entfaltet in zwei Strophen eine eindringliche Gegenüberstellung von erhofftem und erfahrenem Mitgefühl. Es vergleicht die biblische Geschichte von Moses, der durch das Schlagen an einen Felsen Wasser entspringen ließ, mit der eigenen schmerzhaften Erfahrung des lyrischen Ichs. Der erste Teil des Gedichts malt ein Bild der Hoffnung und des Erlösens, während der zweite Teil die bittere Erkenntnis der Ablehnung und des mangelnden Mitgefühls offenbart.

Die erste Strophe beginnt mit der Verbildlichung der biblischen Geschichte. Moses, geplagt von „höchstem Zagen“, fleht um Hilfe und schlägt den Felsen, der dann aus Mitleid aufbricht und eine „Quelle frisch und rein“ entspringen lässt. Diese Szene dient als Idealbild, als Metapher für die Möglichkeit, durch das Ansprechen der richtigen inneren Werte, Trost und Unterstützung zu finden. Der Fels, traditionell als Symbol für Härte und Unnachgiebigkeit, zeigt hier unerwartetes Mitgefühl und ermöglicht somit das Überleben derer, die Hilfe benötigen.

Die zweite Strophe enthüllt die persönliche Erfahrung des lyrischen Ichs, das ebenso einen „Fels“ anspricht, jedoch mit enttäuschendem Ausgang. Trotz verzweifelter Bemühungen – dem „Ringen“ und dem Gebrauch von „Mensch- und Engelzungen“ – bleibt der Angesprochene „kalt und stumm“. Es entspringt keine Quelle, es gibt keine Tränen, keine Zeichen des Mitgefühls. Die Verfasserin betont die Intensität des Schmerzes, indem sie das „ganze Bild“ der Seele offenbart, doch die Reaktion bleibt aus.

Das Gedicht gipfelt in der schmerzlichen Erkenntnis, dass der Angesprochene, im Gegensatz zum Felsen in der biblischen Erzählung, kein Mitgefühl zeigt. Der Fels wurde zum Symbol des Mitgefühls, der Mensch aber, der in seinen Eigenschaften überlegen ist, wird zum Sinnbild der Gefühlskälte. Die überraschende Wendung am Ende, die den Menschen zum „mehr als Stein“ erklärt, verdeutlicht die tiefe Enttäuschung und den Schmerz über die Unfähigkeit des anderen, die Not des lyrischen Ichs zu erkennen und zu lindern. Es ist ein Appell an Menschlichkeit, der in der Stille des Versagens besonders schmerzlich nachklingt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.