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An ihren Papa

Von

Amici! Plaudite! – Die bunten Bänder
und Wimpel flattern froh im Wind!
Wie danke ich dir gütigem Spender
für dieses Kind! –

Du würdiger Greis – vor so und so viel Jahren
erzeugtest du′s in einer Nacht …
Ich weiß, daß dies bei ungebleichten Haaren
schon Mühe macht.

Und du, im rüstigen Mannesalter,
du produziertest dies bébé –
ein Frauenseufzer … leis verhallt er … –
Dir Evoe! –

Dir Evoe! – Ich gratuliere!
Dein denk ich, Autor, ist sie da –
Dein denk ich, wenn ich kokettiere –
Grüß Gott, Papa!

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Gedicht: An ihren Papa von Kurt Tucholsky

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An ihren Papa“ von Kurt Tucholsky ist eine satirische Auseinandersetzung mit dem Thema der Vaterschaft und der gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen. Es persifliert die Konventionen der Gratulation und des Lobes, indem es die Freude über die Geburt eines Kindes in einen ironischen und humorvollen Kontext stellt. Die scheinbar überschwängliche Dankbarkeit der „Tochter“ gegenüber ihrem „Papa“ ist in Wirklichkeit eine Kritik an der Rolle des Mannes in der Erziehung und am Selbstverständnis von Vaterschaft.

Die satirische Wirkung wird durch den Kontrast zwischen der pathetischen Sprache der Gratulation und dem eigentlichen Inhalt verstärkt. Die Verwendung von Begriffen wie „Amici! Plaudite!“ und „Dir Evoe!“ – Anspielungen auf lateinische Redewendungen und römische Festrufe – verleiht dem Gedicht einen ironischen Ton und unterstreicht die Übertreibung der Gefühle. Gleichzeitig wird durch die Erwähnung des „Spenders“ und die humorvolle Beschreibung der Erzeugungsakte die körperliche und biologische Seite der Vaterschaft in den Vordergrund gerückt, was die traditionellen, romantisierten Vorstellungen konterkariert.

Die Ironie gipfelt in der Schlusspassage, in der die Tochter ihre koketten Absichten betont und den Papa grüßt. Diese Zeilen enthüllen die tatsächliche Motivation hinter der „Dankbarkeit“ und unterstreichen die Abhängigkeit der Tochter von der Anerkennung ihres Vaters. Die Formulierung „Dein denk ich, Autor, ist sie da“ lässt vermuten, dass die Tochter ihren Vater als den „Autor“ ihrer Existenz betrachtet, was die gesellschaftliche Rolle des Mannes und die Erwartungen an eine Frau verdeutlicht, die oft auf äußerliche Werte reduziert werden.

Tucholsky nutzt in diesem Gedicht geschickt sprachliche Mittel wie Ironie, Übertreibung und Anspielungen, um die Oberflächlichkeit und die Widersprüche in den gesellschaftlichen Rollen zu entlarven. Die scheinbare Freude und Dankbarkeit sind Ausdruck einer tiefen Kritik an den überholten Geschlechterrollen und an der Art und Weise, wie Vaterschaft und weibliche Existenz betrachtet und gewürdigt werden. Das Gedicht ist somit nicht nur eine Gratulation, sondern eine bissige Abrechnung mit den Erwartungen, die an beide Geschlechter gestellt werden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.