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In der Stadtbahn

Von

Ein feiles Mädchen, schön und aufgetakelt,
Ihr gegenüber, grün und unbemakelt,
Ein Jüngling, dessen Hände sanft behüten
Zwei Veilchensträußchen in den Seidendüten.
Sie sieht ihn an. Er lächelt traurig blöde:
Mein Gott, wie wird das heute wieder öde
Bei Tante Linchen, die Geburtstag feiert. –

Die Dame hat sich nunmehr ganz entschleiert.
Da ist er hingerissen, starrt ein Weilchen,
Und reicht ihr wortlos alle seine Veilchen.
Nun hat er nichts, für Tante kein Präsent…
Er wundert sich – das schöne Fräulein flennt:
Und ihre blassen Tränen auf die blauen
Märzveilchen wie Gelübde niedertauen.

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Gedicht: In der Stadtbahn von Klabund

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „In der Stadtbahn“ von Klabund präsentiert eine Momentaufnahme, die von Kontrasten und unerwarteten Wendungen geprägt ist. Es beginnt mit der Beschreibung einer jungen Frau und eines jungen Mannes, die in der Stadtbahn aufeinandertreffen. Die Frau, „feil und aufgetakelt“, steht im Gegensatz zu dem „grünen und unbemakelten“ Jüngling. Dieser hält schützend zwei Veilchensträußchen in seinen Händen, ein Zeichen von Unschuld und Zartheit. Die Szene wird durch die simple Aussage des Jünglings, der seine Langeweile bei einem bevorstehenden Geburtstag ausdrückt, mit einer leichten Ironie versehen.

Die eigentliche Wendung des Gedichts erfolgt, als sich die Frau „ganz entschleiert“. Der Jüngling, von ihrem Anblick ergriffen, handelt impulsiv und verschenkt wortlos alle seine Veilchen. Dieser Akt der Selbstaufopferung, der Verzicht auf sein Geschenk für die Tante, ist ein überraschender Ausdruck von Zuneigung und Hingabe. Die Reaktion der Frau ist noch unerwarteter: Sie beginnt zu weinen, und ihre Tränen fallen wie Gelübde auf die Veilchen.

Die Metaphorik des Gedichts ist subtil, aber wirkungsvoll. Die Veilchen, Symbol für Zuneigung und Zartheit, werden zu einem Opfer gebracht. Die Tränen der Frau, die auf die Veilchen fallen, verwandeln diese in ein heiliges Geschenk. Dies deutet auf eine tiefe emotionale Reaktion der Frau hin, die über die oberflächliche Erscheinung hinausgeht. Die „blauen Märzveilchen“ unterstreichen die Flüchtigkeit des Moments und die Vergänglichkeit der Schönheit.

Klabunds Gedicht spielt mit den Erwartungen des Lesers. Es thematisiert die Liebe und Zuneigung in der Großstadt. Die Gegensätze, die in der Stadtbahn aufeinandertreffen – die scheinbare Weltlichkeit der Frau und die Unschuld des Mannes, die Oberflächlichkeit des Alltags und die Tiefe der Emotionen – werden durch die überraschende Geste und die Reaktion der Frau aufgehoben. Das Gedicht endet mit einem Gefühl der Hoffnung und des Mitgefühls, das über die tristen Umstände des alltäglichen Lebens hinausgeht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.