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Der Romanschriftsteller

Von

Graugelb ist sein Gesicht. Die Nase
Steigt klippenspitz empor. Die Augen liegen fleckig,
Mißtrauisch von den Wimpern tief beschattet,
Geduckt zum Sprung wie Panther in der Höhlung.
Der rechte Arm mit der Zigarre steht
Steif wie ein Schwert, als wolle er damit
Sich von den andern sondern, die ihm widerwärtig
Und dennoch so sympathisch sind.
Schlägt er die Asche ab,
So fällt wie Hohn sie aufs Gespräch.
Ein kurzes »Ja«, ein scharfes »Nein«
Wirft er zuweilen in die Unterhaltung.
Mit diesem spitzen »Ja« und »Nein«
Spießt er die Leute wie auf Nadeln auf
Und nimmt sie mit nach Hause
Für seine Käfersammlung.
– – – Schlägt man das nächste Buch des Dichters auf.
O Gott! Schon ist man selber drin verzeichnet,
Und wer sich in gerechter Selbsterkenntnis
Für ein libellenähnlich Wesen hielt,
Der findet sich erstaunt als Mistbock wieder.

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Gedicht: Der Romanschriftsteller von Klabund

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Romanschriftsteller“ von Klabund zeichnet ein scharfes Portrait eines Mannes, der als Romanschriftsteller arbeitet. Die Beschreibung beginnt mit der körperlichen Erscheinung, die unmittelbar auf seinen Charakter schließen lässt. Die „graugelbe“ Gesichtsfarbe, die „klippenspitze Nase“ und die „fleckig“ wirkenden, misstrauischen Augen schaffen das Bild eines distanzierten, fast schon abweisenden Menschen. Er wird mit einem „Panther in der Höhlung“ verglichen, was seine Wachsamkeit und sein verborgenes Beobachten unterstreicht. Die starre Haltung mit der Zigarre, die wie ein Schwert wirkt, verstärkt den Eindruck von Distanz und Isolation.

Der zweite Teil des Gedichts widmet sich seinem Verhalten in Gesellschaft und seiner Beziehung zu anderen Menschen. Seine Interaktion wird als kühl und berechnend dargestellt: Das Abschlagen der Asche der Zigarre wirkt wie ein „Hohn“ auf das Gespräch. Seine Antworten sind kurz und prägnant, ein „scharfes ‚Nein‘“ oder ein „spitzes ‚Ja‘“, mit denen er seine Gesprächspartner wie auf Nadeln aufspießt. Diese bildhafte Sprache verdeutlicht seine Fähigkeit, andere zu analysieren und ihre Eigenheiten zu erfassen. Die Metapher der „Käfersammlung“ offenbart sein eigentliches Ziel: Er sammelt Eindrücke und Charaktere, um sie für seine Romane zu nutzen.

Die letzte Strophe offenbart die Konsequenzen dieses Verhaltens. Wenn man das nächste Buch des Dichters aufschlägt, findet man sich selbst darin wieder – in einer möglicherweise unangenehmen und verzerrten Form. Der Leser wird in seinem Spiegelbild entlarvt und seiner Selbstwahrnehmung beraubt. Die überraschende Metamorphose vom vermeintlich „libellenähnlichen Wesen“ zum „Mistbock“ ist ein drastisches Beispiel für die schonungslose Beobachtungsgabe des Schriftstellers und die Macht seiner Feder.

Das Gedicht ist somit eine Kritik an der Künstlerfigur des Romanschriftstellers, der seine Umgebung als Rohmaterial für seine Kunst betrachtet und dabei seine Mitmenschen gnadenlos analysiert und in seinen Werken ausstellt. Es hinterfragt die ethischen Implikationen dieser Praxis und die Auswirkungen auf die Betroffenen. Der Autor Klabund warnt vor der Gefahr, in den Werken des Schriftstellers, die eigene Selbsterkenntnis zu verlieren und sich in verzerrter Form wiederzufinden. Die Sprache ist präzise und bildhaft, wodurch das Gedicht eine starke Wirkung erzielt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.