Sehnsucht nach der Waldgegend
Wär′ ich nie aus euch gegangen,
Wälder, hehr und wunderbar!
Hieltet liebend mich umfangen
Doch so lange, lange Jahr′.
Wo in euren Dämmerungen
Vogelsang und Silberquell,
Ist auch manches Lied entsprungen
Meinem Busen, frisch und hell.
Euer Wogen, euer Hallen,
Euer Säuseln nimmer müd′,
Eure Melodien alle
Weckten in der Brust das Lied.
Hier in diesen weiten Triften
Ist mir alles öd′ und stumm,
Und ich schau′ in blauen Lüften
Mich nach Wolkenbildern um
Wenn ihr′s in den Busen zwinget,
Regt sich selten nur das Lied:
Wie der Vogel halb nur singet,
Den von Baum und Blatt man schied.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Sehnsucht nach der Waldgegend“ von Justinus Kerner ist eine melancholische Reflexion über die Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat und der damit verbundenen Inspiration und Kreativität. Kerners Worte drücken das Bedauern des Sprechers aus, jemals die Geborgenheit und Fülle der Natur verlassen zu haben, und die daraus resultierende innere Leere. Das Gedicht ist ein Ausdruck des Gefühls, dass die Entfernung von der Natur auch eine Entfremdung von der eigenen Kreativität und dem inneren Gesang mit sich bringt.
In den ersten drei Strophen beschreibt das Gedicht eine ideale, nahezu paradiesische Welt, in der der Sprecher einst lebte. Die „Wälder“ werden als „hehr und wunderbar“ bezeichnet, als ein Ort der Umarmung und Geborgenheit. Die Natur wird personifiziert, als ob sie den Sprecher liebend festhielt. Die Beschreibung von Vogelsang, Silberquellen und dem unaufhörlichen Säuseln der Bäume deutet auf eine Welt voller Schönheit und lebendiger Kreativität hin, die den Sprecher zu eigenen Liedern inspirierte. Die Natur wird hier als Muse und Quelle des künstlerischen Ausdrucks dargestellt.
Die vierte und fünfte Strophe zeigen den Kontrast zur gegenwärtigen Situation des Sprechers. Die „weiten Triften“ und die „blauen Lüfte“ wirken öde und stumm, und der Sprecher sucht vergeblich nach Trost in der scheinbar unberührten Natur. Die Metapher des Vogels, der vom Baum getrennt nur halb singt, unterstreicht die zentrale Aussage des Gedichts. Ohne die Natur als Quelle der Inspiration und als schützenden Raum ist der Sprecher unfähig, seine Kreativität in vollem Umfang auszuleben.
Die abschließende Strophe verdeutlicht das zentrale Thema der Sehnsucht und der Entfremdung. Die Aussage, dass das Lied nur selten hervorbricht, wenn die Natur fehlt, zeigt die Abhängigkeit des Sprechers von der natürlichen Umgebung für seinen kreativen Ausdruck. Das Gedicht kann als eine persönliche Klage über den Verlust der Natur als Quelle der Inspiration und als Appell für die Rückkehr zu den Wurzeln verstanden werden, um die eigene Kreativität wiederzuentdecken. Die einfachen, aber eindrucksvollen Bilder und die melancholische Stimmung machen das Gedicht zu einem ergreifenden Ausdruck der Sehnsucht nach einer verlorenen Harmonie.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.