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Wandersprüche

Von

1

Es geht wohl anders, als du meinst:
Derweil du rot und fröhlich scheinst,
Ist Lenz und Sonnenschein verflogen,
Die liebe Gegend schwarz umzogen;
Und kaum hast du dich ausgeweint,
Lacht alles wieder, die Sonne scheint –
Es geht wohl anders, als man meint.

2

Herz, in deinen sonnenhellen
Tagen halt nicht karg zurück!
Allwärts fröhliche Gesellen
Trifft der Frohe und sein Glück.

Sinkt der Stern: alleine wandern
Magst du bis ans End der Welt –
Bau du nur auf keinen andern
Als auf Gott, der Treue hält.

3

Was willst auf dieser Station
So breit dich niederlassen?
Wie bald nicht bläst der Postillon,
Du mußt doch alles lassen.

4

Die Lerche grüßt den ersten Strahl,
Daß er die Brust ihr zünde,
Wenn träge Nacht noch überall
Durchschleicht die tiefen Gründe.

Und du willst, Menschenkind, der Zeit
Verzagend unterliegen?
Was ist dein kleines Erdenleid?
Du mußt es überfliegen!

5

Der Sturm geht lärmend um das Haus,
Ich bin kein Narr und geh hinaus,
Aber bin ich eben draußen,
Will ich mich wacker mit ihm zausen.

6

Ewig muntres Spiel der Wogen!
Viele hast du schon belogen,
Mancher kehrt nicht mehr zurück.
Und doch weckt das Wellenschlagen
Immer wieder frisches Wagen,
Falsch und lustig wie das Glück.

7

Der Wandrer, von der Heimat weit,
Wenn rings die Gründe schweigen,
Der Schiffer in Meeres Einsamkeit,
Wenn die Stern aus den Fluten steigen:

Die beide schauern und lesen
In stiller Nacht,
Was sie nicht gedacht,
Da es noch fröhlicher Tag gewesen.

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Gedicht: Wandersprüche von Joseph von Eichendorff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wandersprüche“ von Joseph von Eichendorff ist eine Sammlung von sieben kurzen Strophen, die verschiedene Aspekte des Lebens und der menschlichen Erfahrung betrachten. Es ist geprägt von einer tiefen Naturverbundenheit und einer romantischen Sehnsucht nach Harmonie und Transzendenz. Jede Strophe scheint einen eigenen, in sich geschlossenen Gedanken zu präsentieren, die zusammen jedoch ein umfassendes Bild von Leben, Vergänglichkeit und dem Verhältnis des Menschen zur Welt zeichnen. Die Verse bieten Trost, Ermutigung und Reflexion über die Natur des Daseins.

Die erste Strophe thematisiert die Überraschungen und Wandlungen des Lebens. Sie erinnert uns daran, dass die Dinge oft anders verlaufen, als wir es erwarten, und dass Glück und Leid sich rasch abwechseln. Die Zeilen „Es geht wohl anders, als du meinst“ dienen als Leitmotiv, das sich durch das gesamte Gedicht zieht. Sie mahnen zur Demut und Flexibilität gegenüber den unvorhersehbaren Wendungen des Schicksals. Die zweite Strophe bietet eine Ermahnung, das Leben in vollen Zügen zu genießen, wenn die Sonne scheint, und sich in schwierigen Zeiten auf den Glauben an Gott zu verlassen. Das Herz wird ermutigt, nicht „karg zurück“ zu halten, sondern das Glück anzunehmen und sich auf die Treue Gottes zu verlassen.

Die folgenden Strophen widmen sich spezifischeren Aspekten des Lebens. Strophe 3 erinnert an die Vergänglichkeit irdischer Dinge und die Notwendigkeit, sich nicht zu sehr an materielle Güter zu klammern. Die vierte Strophe ermutigt, sich von den Widrigkeiten des Lebens nicht entmutigen zu lassen, sondern wie die Lerche dem Licht entgegenzustreben. Die fünfte Strophe zeigt die Bereitschaft, sich dem Sturm des Lebens zu stellen, mit Mut und Entschlossenheit. Die sechste Strophe betrachtet die Täuschungen und die Schönheit des Glücks, wobei sie die Wellen als Metapher für die Unberechenbarkeit des Lebens nutzt.

Die siebte und letzte Strophe vereint die Themen des Wanderns und der Einsamkeit, die im Gedicht als Motive der Erfahrung dargestellt werden. Sie evoziert die Erfahrung des Wanderns und der Schifffahrt und die daraus resultierende Kontemplation in der Stille der Natur. Sowohl der Wanderer als auch der Seefahrer finden in der Nacht tiefe Erkenntnisse, die ihnen im hellen Tag verborgen blieben. Insgesamt vermittelt „Wandersprüche“ eine optimistische, aber auch realistische Sichtweise auf das Leben. Es ist ein Gedicht, das Trost spendet, Mut macht und dazu anregt, die Schönheit und Tiefe der Welt zu erkennen, selbst in Zeiten des Wandels und der Herausforderung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.