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Morgenlied (2)

Von

Ein Stern still nach dem andern fällt
Tief in des Himmels Kluft,
Schon zucken Strahlen durch die Welt,
Ich wittre Morgenluft.

In Qualmen steigt und sinkt das Tal;
Verödet noch vom Fest
Liegt still der weite Freudensaal,
Und tot noch alle Gäst.

Da hebt die Sonne aus dem Meer
Eratmend ihren Lauf;
Zur Erde geht, was feucht und schwer,
Was klar, zu ihr hinauf.

Hebt grüner Wälder Trieb und Macht
Neurauschend in die Luft,
Zieht hinten Städte, eitel Pracht,
Blau Berge durch den Duft.

Spannt aus die grünen Tepp′che weich,
Von Strömen hell durchrankt,
Und schallend glänzt das frische Reich,
So weit das Auge langt.

Der Mensch nun aus der tiefen Welt
Der Träume tritt heraus,
Freut sich, daß alles noch so hält,
Daß noch das Spiel nicht aus.

Und nun gehts an ein Fleißigsein!
Umsumsend Berg und Tal,
Agieret lustig groß und klein
Den Plunder allzumal.

Die Sonne steiget einsam auf,
Ernst über Lust und Weh
Lenkt sie den ungestörten Lauf
Zu stiller Glorie. –

Und wie er dehnt die Flügel aus,
Und wie er auch sich stellt,
Der Mensch kann nimmermehr hinaus
Aus dieser Narrenwelt.

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Gedicht: Morgenlied (2) von Joseph von Eichendorff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Morgenlied (2)“ von Joseph von Eichendorff beschreibt in sieben Strophen den Morgenanbruch und die damit einhergehende Transformation von Natur und Mensch, um abschließend eine pessimistische Sichtweise auf die menschliche Existenz zu offenbaren. Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung des Morgens, in dem die Sterne am Himmel verblassen und die ersten Sonnenstrahlen die Welt erhellen. Die Natur erwacht aus der Stille der Nacht, das Tal erhebt sich aus dem Nebel, und die Sonne steigt majestätisch aus dem Meer auf.

In den folgenden Strophen wird die dynamische Natur des Erwachens weiter erkundet. Der Dichter beschreibt das Aufsteigen der grünen Wälder, das Erscheinen von Städten und Bergen im Dunst und die Ausbreitung der von Flüssen durchzogenen grünen Teppiche. Die Natur erstrahlt in ihrer vollen Pracht und Schönheit, ein Zustand, der auch den Menschen erfasst. Der Mensch erwacht aus den Träumen der Nacht und freut sich über die noch unversehrte Welt, als wäre das Spiel noch nicht zu Ende.

Doch mit der vorletzten Strophe vollzieht sich eine Wendung. Der „Fleiß“ des Menschen beginnt, er agiert lustig, „groß und klein“, und widmet sich dem Alltag. Die Sonne, ein Symbol der Unparteilichkeit, erhebt sich über all dies. Sie lenkt ihren Lauf ungestört über Freude und Leid, zu einer „stillen Glorie“. Die letzte Strophe offenbart die eigentliche, wehmütige Botschaft des Gedichts. Der Mensch kann sich, wie er es auch versuchen mag, nicht aus dieser „Narrenwelt“ befreien.

Eichendorffs „Morgenlied (2)“ spiegelt die typische Romantiker-Thematik wider, in der die Schönheit und Erhabenheit der Natur dem unvollkommenen und begrenzten Dasein des Menschen gegenübergestellt wird. Das Gedicht beginnt mit einem Lobgesang auf die Natur, um dann durch die menschliche Perspektive eine tiefere, melancholische Einsicht zu gewinnen. Es ist eine Reflexion über die menschliche Existenz, die durch die Vergänglichkeit des Lebens und die Illusion von Freiheit gekennzeichnet ist. Die Morgenstimmung dient als Katalysator für die Betrachtung von Leben, Freude und Leid, um am Ende die Tragik des menschlichen Daseins zu betonen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.