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Wahrer Genuß

Von

Umsonst daß du, ein Herz zu lenken,
Des Mädchens Schooß mit Golde füllst;
Der Liebe Freuden laß dir schenken,
Wenn du sie wahr empfinden willst.
Gold kauft die Stimmen großer Haufen,
Kein einzig Herz erwirbt es dir:
Doch willst du dir ein Mädchen kaufen,
So geh und gieb dich selbst dafür!

Soll dich kein heilig Band umgeben,
O Jüngling, schränke selbst dich ein!
Man kann in wahrer Freiheit leben
Und doch nicht ungebunden sein.
Laß nur für Eine dich entzünden;
Und ist ihr Herz von Liebe voll,
So laß die Zärtlichkeit dich binden,
Wenn dich die Pflicht nicht binden soll!

Empfinde, Jüngling! und dann wähle
Ein Mädchen dir, sie wähle dich,
Von Körper schön und schön von Seele,
Und dann bist du beglückt, wie ich.
Ich, der ich diese Kunst verstehe,
Ich habe mir ein Kind gewählt,
Daß uns zum Glück der schönsten Ehe
Allein des Priesters Segen fehlt.

Für nichts besorgt als meine Freude,
Für mich nur schön zu sein bemüht,
Wollüstig nur an meiner Seite,
Und sittsam wenn die Welt sie sieht;
Daß unsrer Gluth die Zeit nicht schade,
Räumt sie kein Recht aus Schwachheit ein,
Und ihre Gunst bleibt immer Gnade,
Und ich muß immer dankbar sein.

Ich bin genügsam und genieße
Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
Wenn sie bei Tisch des Liebsten Füße
Zum Schemel ihrer Füße macht,
Den Apfel den sie angebissen,
Das Glas woraus sie trank, mir reicht,
Und mir bei halb geraubten Küssen
Den sonst verdeckten Busen zeigt.

Und wenn in stillgesell′ger Stunde
Sie einst mit mir von Liebe spricht,
Wünsch′ ich nur Worte von dem Munde,
Nur Worte, Küsse wünsch′ ich nicht.
Welch ein Verstand, der sie beseelet,
Mit immer neuem Reiz umgibt!
Sie ist vollkommen, und sie fehlet
Darin allein, daß sie mich liebt.

Die Ehrfurcht wirft mich ihr zu Füßen,
Die Sehnsucht mich an ihre Brust.
Sieh, Jüngling! dieses heißt genießen,
Sei klug und suche diese Lust.
Der Tod führt einst von ihrer Seite
Dich auf zum englischen Gesang,
Dich zu des Paradieses Freude,
Und du fühlst keinen Übergang.

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Gedicht: Wahrer Genuß von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wahrer Genuß“ von Johann Wolfgang von Goethe entfaltet eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Begriff des Genusses und der Liebe. Es beginnt mit einer Abkehr von materialistischen Ansichten und betont, dass wahre Liebe und Freude nicht durch Geld, sondern durch gegenseitige Hingabe und Erwählung erreicht werden. Goethe wendet sich an den „Jüngling“ und gibt ihm Ratschläge, wie er wahre Erfüllung finden kann. Das Gedicht zeichnet sich durch eine klare Struktur aus, die sich in aufeinander aufbauenden Strophen entfaltet.

In den ersten beiden Strophen werden zentrale Thesen des Gedichts aufgestellt. Der Dichter weist darauf hin, dass materielle Güter die Liebe nicht kaufen können. Wahre Liebe erfordert Hingabe, Selbstbeschränkung und die Fähigkeit, sich für eine einzige Person zu entflammen. Die dritte Strophe verdeutlicht diese Empfehlungen weiter, indem sie die Bedeutung der gegenseitigen Zuneigung und der Wahl eines Partners hervorhebt, der sowohl körperlich als auch seelisch ansprechend ist. Goethe selbst, der im lyrischen Ich spricht, scheint bereits einen solchen Partner gefunden zu haben, da er von Glück spricht.

Die folgenden Strophen (4-6) beschreiben die Beziehung des Dichters zu seiner Auserwählten. Sie ist anscheinend jung und ihrem Partner in Liebe zugetan. Goethe beschreibt die verschiedenen Aspekte ihrer gemeinsamen Erlebnisse, von ihrer Schönheit bis hin zu ihren intimen Momenten. Goethe scheint von ihrer Hingabe tief berührt zu sein, und der Fokus liegt auf der Wertschätzung ihrer Liebe, ihrer Zärtlichkeit und ihrem Verständnis. Die Betonung liegt auf dem intellektuellen und emotionalen Austausch, nicht nur auf körperlicher Anziehung. Der Dichter empfindet Ehrfurcht vor seiner Geliebten und sehnt sich nach ihrer Nähe.

Die abschließende siebte Strophe dient als Zusammenfassung und Ermahnung. Goethe fordert den „Jüngling“ auf, sich diese Art von Genuss zu suchen. Der Höhepunkt ist ein Ausblick auf den Tod, der in dieser Beziehung nicht als Ende, sondern als Übergang in die Freude des Paradieses dargestellt wird. Dies verdeutlicht die tiefe Verbundenheit und das Vertrauen in die ewige Natur der Liebe, die über den Tod hinaus Bestand hat. Das Gedicht vermittelt eine erhabene Vorstellung von Liebe, die von tiefem Respekt, Gegenseitigkeit und spiritueller Erfüllung geprägt ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.