Schäfers Klagelied
Da droben auf jenem Berge,
Da steh′ ich tausendmal
An meinem Stabe gebogen
Und schaue hinab in das Tal.
Dann folg′ ich der weidenden Herde,
Mein Hündchen bewahret mir sie.
Ich bin herunter gekommen
Und weiß doch selber nicht wie.
Da stehet von schönen Blumen
Die ganze Wiese so voll.
Ich breche sie, ohne zu wissen,
Wem ich sie geben soll.
Und Regen, Sturm und Gewitter
Verpaß′ ich unter dem Baum.
Die Türe dort bleibet verschlossen
Doch alles ist leider ein Traum.
Es stehet ein Regenbogen
Wohl über jenem Haus!
Sie aber ist weggezogen,
Und weit in das Land hinaus.
Hinaus in das Land und weiter,
Vielleicht gar über die See.
Vorüber, ihr Schafe, vorüber!
Dem Schäfer ist gar so weh.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Schäfers Klagelied“ von Johann Wolfgang von Goethe zeichnet das Bild eines vereinsamten, unglücklichen Schäfers, der in melancholischer Weise seine verlorene Liebe betrauert. Die Strophen entfalten eine Atmosphäre der Trauer und Leere, indem sie die einsame Situation des Schäfers in der Natur beschreiben. Die wiederholten Blicke in das Tal, die Begleitung der Herde und das sinnlose Blumenpflücken unterstreichen seine Orientierungslosigkeit und das Fehlen eines erfüllten Lebens. Die Natur wird dabei als Kulisse für seine unglückliche Lage genutzt, wobei das Wechselspiel von Wetter und Jahreszeiten die Stimmung des Schäfers widerspiegelt.
Die zweite Strophe etabliert die Einsamkeit des Schäfers, indem er scheinbar ziellos den Tieren folgt und sich fragt, wie er überhaupt in diese Situation geraten ist. Die Beschreibung der vollen Blumenwiese in der dritten Strophe, die er wahllos pflückt, ohne zu wissen, wem er sie schenken soll, verdeutlicht seinen Verlust und die Leere in seinem Leben. Die Natur wird hier als Spiegelbild seines unglücklichen Zustands genutzt: Die Schönheit der Blumen kann seine Trauer nicht mildern, da er keinen Anlass hat, sie zu schätzen oder zu genießen.
Die vierte und fünfte Strophe verstärken die Verzweiflung des Schäfers durch die Erwähnung von Regen, Sturm und Gewitter sowie der verschlossenen Tür. Der Traum, der nicht Wirklichkeit wird, verstärkt das Gefühl des Verlustes. Der Regenbogen als Zeichen der Hoffnung scheint über einem anderen Haus zu stehen, während seine Geliebte fortgezogen ist, weit weg in das Land und vielleicht sogar über das Meer. Diese Distanz, physisch und emotional, wird durch die bildhafte Sprache Goethes eindrücklich vermittelt, indem er die Weite der Welt mit dem Schmerz des Schäfers verbindet.
In der abschließenden sechsten Strophe erreicht die Klage ihren Höhepunkt: Die Schafe werden aufgefordert, weiterzuziehen, da der Schäfer von tiefem Schmerz gequält wird. Dieser Ausruf, der sich an seine Herde richtet, offenbart die tiefgreifende Trauer und das Leid, das ihn erfasst hat. Das Gedicht ist somit eine ergreifende Darstellung von Liebeskummer, Einsamkeit und Verlust, die durch die bildhafte Sprache und die melancholische Atmosphäre des Gedichts intensiviert wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.