Schadenfreude
In des Papillons Gestalt
Flattr′ ich, nach den letzten Zügen,
Zu den vielgeliebten Stellen,
Zeugen himmlischer Vergnügen,
Ober Wiesen, an die Quellen,
Um den Hügel, durch den Wald.
Ich belausch′ ein zärtlich Paar.
Von des schönen Mädchens Haupte
Aus den Kränzen schau′ ich nieder;
Alles, was der Tod mir raubte,
Seh′ ich hier im Bilde wieder,
Bin so glücklich, wie ich war.
Sie umarmt ihn lächelnd stumm,
Und sein Mund genießt der Stunde,
Die ihm güt′ge Götter senden,
Hüpft vom Busen zu dem Munde,
Von dem Munde zu den Händen,
Und ich hüpf′ um ihn herum.
Und sie sieht mich Schmetterling.
Zitternd vor des Freunds Verlangen
Springt sie auf, da flieg′ ich ferne.
„Liebster, komm′, ihn einzufangen!
Komm′ ich hätt′ es gar zu gerne,
Gern das kleine bunte Ding.“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Schadenfreude“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine Momentaufnahme der kontemplativen Beobachtung, die in einem überraschenden Gefühl von Genuss mündet, welches im Titel des Gedichts angedeutet wird. Ein scheinbar einfacher Text, der durch seine scheinbare Leichtigkeit tiefere Bedeutungsebenen offenbart. Der Erzähler, dargestellt in der Metamorphose eines Schmetterlings, erlebt die Welt aus einer neuen Perspektive nach dem Tod, wobei die verklärte Sichtweise auf die Freuden der Welt im Vordergrund steht.
Die ersten beiden Strophen beschreiben die Flugbewegung des Schmetterlings und seine Beobachtungen der Natur und des Liebesspiels eines Paares. Die Bewegung des Schmetterlings, die im Flatternden in „Papillons Gestalt“ ausgedrückt wird, spiegelt eine Form von Freiheit und Loslösung wider, die von den Beschränkungen des irdischen Lebens befreit wurde. Die Beschreibung der Landschaften, „Wiesen, Quellen, Hügel, Wald“, zeugt von der Sehnsucht nach den Freuden des Lebens, die dem Betrachter einst vertraut waren und jetzt nur noch aus der Ferne betrachtet werden können. Die Erinnerung an die „himmlischen Vergnügen“ des vergangenen Lebens wird durch die Beobachtung des Liebespaares verstärkt, wodurch der Schmetterling eine Form der Identifikation und Empathie erfährt. Das Wiedersehen mit dem Vertrauten, das er einst selbst besaß, wird durch die Zeilen „Seh’ ich hier im Bilde wieder, Bin so glücklich, wie ich war“ ausgedrückt.
Die dritte Strophe erreicht ihren Höhepunkt in der subtilen Schadenfreude. Die Beschreibung des Liebespaares wird intimer, die Zärtlichkeit zwischen den beiden wird durch die Sinne des Erzählers vermittelt. Die Geste der Umarmung und der Kuss, die im ersten Teil der Strophe beschrieben werden, werden im zweiten Teil durch die Freude des Schmetterlings über die Zuneigung des Paares zum Ausdruck gebracht. Mit den Zeilen „Und ich hüpf’ um ihn herum“, wird deutlich, dass der Schmetterling nicht nur beobachtet, sondern auch ein Teil der Szene wird, was die Verbindung zwischen dem Beobachter und dem Objekt verstärkt.
Der Wendepunkt des Gedichts ist die Reaktion des Mädchens, das den Schmetterling entdeckt und ihn fangen möchte. Dieses plötzliche Eingreifen des Paares in die Beobachtung des Schmetterlings verleiht der Schadenfreude eine zusätzliche, unerwartete Dimension. Das Eingreifen in die Szene scheint das Gleichgewicht zu stören, das der Schmetterling durch seine distanzierte Beobachtung geschaffen hatte. Die abschließenden Zeilen zeigen, wie der Schmetterling sich der Szene entzieht, als er sich seinem Schicksal bewusst wird, und die Schadenfreude als einen vergänglichen Moment der Freude verdeutlicht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.