Hochzeitlied
Wir singen und sagen vom Grafen so gern,
Der hier in dem Schlosse gehauset,
Da, wo ihr den Enkel des seligen Herrn,
Den heute vermählten, beschmauset.
Nun hatte sich jener im heiligen Krieg
Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg,
Und als er zu Hause vom Rösselein stieg,
Da fand er sein Schlösselein oben;
Doch Diener und Habe zerstoben.
Da bist du nun, Gräflein, da bist du zu Haus:
Das Heimische findest du schlimmer!
Zum Fenster, da ziehen die Winde hinaus,
Sie kommen durch alle die Zimmer.
>>Was wäre zu tun in der herbstlichen Nacht?
So hab ich doch manche noch schlimmer vollbracht,
Der Morgen hat alles wohl besser gemacht.
Drum rasch bei der mondlichen Helle
Ins Bett, in das Stroh, ins Gestelle!>Die Ratte, die raschle, solange sie mag!
Ja, wenn sie ein Bröselein hätte!>Wir haben uns Feste hier oben erlaubt,
Seitdem du die Zimmer verlassen,
Und weil wir dich weit in der Ferne geglaubt,
So dachten wir eben zu prassen.
Und wenn du vergönnest und wenn dir nicht graut,
So schmausen die Zwerge, behaglich und laut,
Zu Ehren der reichen, der niedlichen Braut.>Bedienet euch immer des Raumes!
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Hochzeitlied“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine humorvolle und satirische Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Heimkehr, Enttäuschung und dem daraus resultierenden, unerwarteten Erleben einer lebhaften, ja fast übernatürlichen Hochzeit. Es beginnt mit der Beschreibung des Grafen, der nach Kriegserfolgen in sein Schloss zurückkehrt, nur um festzustellen, dass es verlassen und verwüstet ist. Die anfängliche Resignation und der Wunsch nach Ruhe werden durch die unerwartete Entdeckung einer Zwergenhochzeit in seinem eigenen Haus unterbrochen.
Die erste Strophe stellt die Ausgangssituation vor und etabliert einen Kontrast zwischen dem ruhmreichen Krieg, den der Graf erlebt hat, und der trostlosen Realität, die ihn zu Hause erwartet. Das Schloss ist verlassen, die Diener sind verschwunden, und der Graf findet sich in einer verlassenen und ungemütlichen Umgebung wieder. Die zweite Strophe zeigt seine Bemühungen, sich mit der Situation zu arrangieren, indem er sich in die Nacht zurückzieht und versucht, Schlaf zu finden. Seine Gedanken sind pragmatisch und von einem gewissen Fatalismus geprägt: „Der Morgen hat alles wohl besser gemacht.“ Dies wird jedoch von einer wachsenden Unruhe unterbrochen, die in der Erscheinung des Zwerges kulminiert.
Der Mittelteil des Gedichts beschreibt die Zwergenhochzeit, die der Graf in seinem Schloss entdeckt. Die Zwerge, mit ihrem winzigen Wicht und Ampelenlicht, veranstalten eine lebhafte und farbenfrohe Feier, die eine fast surreale Atmosphäre erzeugt. Goethes detaillierte Beschreibung des Festes, einschließlich der Reiter, des Chors, der Wagen und der Braut, erzeugt ein Bild von Überfluss und Lebensfreude, das im krassen Gegensatz zur trostlosen Leere des Schlosses steht, die der Graf zuvor erlebt hat. Die Reaktion des Grafen, der zunächst versucht, das Geschehen zu ignorieren, und dann in Trance dem Treiben zuschaut, unterstreicht die Absurdität und den fantastischen Charakter der Szene.
Die letzten Strophen zeigen, wie die Zwergenhochzeit sich in ein größeres Ereignis verwandelt, als die Braut und die Gäste in einem vergoldeten Wagen erscheinen und eine noch opulentere Feier einleiten. Das Gedicht endet mit einer Art moralischer Note. Der Graf, der die Zwergenhochzeit im Kleinen erlebt hat, erfährt, dass es auch im Großen stattfindet. Dies deutet darauf hin, dass die Erfahrung der Feier und des Überflusses für ihn eine transformative Wirkung hat, vielleicht indem sie ihm zeigt, dass das Leben trotz aller Widrigkeiten Freude und Festlichkeit bereithält. Der Schlussvers, der besagt „So ging es und geht es noch heute“, suggeriert eine allgemeingültige Wahrheit über die Natur des Lebens und der Gesellschaft.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.