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Der zufriedene Greis

Von

Ein Nachbar von Gleims Hüttchen

Ich sitze gern im Kühlen
Auf meinerKnüppelbank,
Und seh im Winde wühlen
Das Rokkenfeld entlang.
Dann flecht ich Stühl’ und Körbe,
Und sing, und denke wohl:
Bald sagt des Holzes Kerbe,
Die vierte Stieg ist voll.

Wie unvermerkt doch schlendert
Die liebe Zeit dahin!
Gar viel hat sich verändert,
Seit ich im Dorfe bin.
So manches Jugendspielers
Gedenk ich: Ach der war!
Der Sohn des Nebenschülers
Hat auch schon graues Haar.

Wer hören mag, der höret
Mich oft von alter Zeit:
Wer da und dort verkehret,
Wer dies und das verneut.
Ich weiß des Krams nicht minder,
Als unsers Kirchturms Knopf;
Das Neue nur, ihr Kinder,
Behalt ich nicht im Kopf.

Ich mag’s auch nicht behalten,
Ob’s abschreckt oderkörnt;
Ich habe längst am Alten
Mein Sprüchlein ausgelernt:
Der Mensch im Anfanglaunet,
Und findet manches hart;
Er wird’s gewohnt, und staunet,
Wie gut es endlich ward.

Du wirk ohn umzugaffen,
Und übe deine Pflicht.
Will Gott was Neues schaffen,
So widerstrebe nicht.
Wie seltsam er oft bessert,
Er übersieht uns weit:
Was klein war, wird vergrößert,
Das Große wird zerstreut.

Fürwahr im Himmel waltet,
Der wohl zu walten weiß;
Der Alte, der nie alter,
Der lenkt der Dinge Gleis.
Gewitter, Sturm und Regen
Erheitern Luft und Flur.
Bebt nicht vor Donnerschlägen;
Der Alte bessert nur.

Jetzt naht er manchem Volke
Mit Strafgericht und Graus,
Und donnert aus der Wolke;
Getrost! er bessert aus.
Drum laß ich ohne Kummer
Es gehen, wie es geht:
Als ob in halbem Schlummer
Um mich der Schatten weht.

worauf ich zuerst sitzen mußte,
gab Anlaß zu diesem Liede.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der zufriedene Greis von Johann Heinrich Voß

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der zufriedene Greis“ von Johann Heinrich Voß zeichnet das Bild eines älteren Mannes, der in seinem ruhigen Lebensabend Zufriedenheit und Gelassenheit findet. Die Idylle beginnt mit dem Beschreiben des Greises, der auf seiner Knüppelbank sitzt und die Natur beobachtet, während er handwerklichen Tätigkeiten nachgeht und singt. Diese anfängliche Ruhe und die Beschaulichkeit, die durch die Beschreibung des Rokkenfelds und das Flechten von Stühlen und Körben vermittelt wird, etablieren das Fundament für die zentrale Botschaft des Gedichts: die Akzeptanz des Lebens und die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen.

Der zweite Teil des Gedichts widmet sich der Betrachtung der Zeit und der Veränderungen, die der Greis in seinem langen Leben erlebt hat. Er erinnert sich an vergangene Zeiten und Menschen, was eine gewisse Melancholie, aber auch Dankbarkeit für das Erlebte zum Ausdruck bringt. Die Erwähnung von Jugendspielen und der Alterung anderer Personen unterstreicht den Fluss der Zeit. Der Greis scheint sich jedoch nicht vom Wandel aus der Ruhe bringen zu lassen, sondern nimmt ihn als natürlichen Bestandteil des Lebens hin. Diese Gelassenheit wird durch die Aussage verstärkt, dass er sich nicht mehr Neues merken möchte, was impliziert, dass er das Wesentliche erkannt hat und sich auf das konzentriert, was ihm wichtig ist.

Die zentralen Strophen des Gedichts enthalten die Lebensweisheit des Greises. Er betont die Bedeutung von Fleiß und der Erfüllung seiner Pflichten, ohne sich von äußeren Umständen ablenken zu lassen. Außerdem rät er, sich nicht gegen Veränderungen zu wehren, da Gott, bzw. eine höhere Macht, alles zum Guten lenkt. Diese Sichtweise ist von tiefer Religiosität geprägt, da sie auf Vertrauen in die göttliche Ordnung basiert. Die bildhafte Sprache, wie die Beschreibung von Gewittern und Stürmen, die die Luft erheitern, verstärkt das Vertrauen in einen übergeordneten Plan. Der Greis nimmt sowohl die guten als auch die schlechten Zeiten mit Gleichmut hin und ist überzeugt, dass am Ende alles gut wird.

Das Gedicht schließt mit der endgültigen Bestätigung der Zufriedenheit des Greises. Er lässt das Leben geschehen, ohne sich von Kummer oder Sorgen belasten zu lassen, und vergleicht seinen Zustand mit einem sanften Schlummer, umgeben von Schatten. Die Erwähnung, dass das Gedicht aufgrund des Ortes entstanden ist, an dem er zuerst sitzen musste, unterstreicht die Intimität und Authentizität des Gedichts. Es ist ein Loblied auf die Gelassenheit, die Weisheit des Alters und die Akzeptanz des Lebens, dargestellt durch die Augen eines einfachen, aber weisen Mannes.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.