Wie der Sänger des Hains in dem Käficht, unter dem Maibusch,
Welchen die Tochter des Herrn sorgsam im Topfe gepflegt,
Um mit früherem Laube des Lieblings Haus zu beschatten,
Froher des Sonnenscheins, hüpft und melodischer singt:
Klösterlich schwermutsvoll im Ofendunst an dem Fenster,
Welches von Nachtfrost blinkt’, oder von Hagel und Sturm
Rasselte, saß er bisher mit strupfichter Schwinge, des Sommers
Eingedenk, da er frei Wälder und Auen durchflog;
Aber nun hüpft er und singt vor dem offenen Fenster des Gartens,
Froher des Sonnenscheins, unter dem schimmernden Grün,
Daß vor dem hellen Gesange die Jungfrau lächelnd am Nähpult
Sich ihr gellendes Ohr schirmet, und Ruh ihm gebeut:
Also freut sich der Dichter, der, lange verscheucht, sein umgrüntes
Einsames Gartenhaus endlich in Friede bewohnt,
Und aus traulicher Kammer, von Mond und Sonne beleuchtet,
Garten und Insel und See, Hügel und Wälder umschaut.
Immer durchschwärmt sein Blick die Gegenden: oft wie die Biene,
Welche Blumen umirrt, und bei den süßeren weilt;
Stürmend oft und entzückt, wie der Adler Zeus, da er Nektar
Und Ambrosia einst aus der elysischen Flur
Brachte, dem Knaben zur Kost, der, ein künftiger Herrscher des Donners,
Unter der Grott im Glanz seiner Unsterblichkeit schlief.
Heil mir! ich zittre vor Wonn! Ist es Wirklichkeit oder Erscheinung?
Meine Stimme, wie hell! fließet von selbst in Gesang!
Welchen unsterblichen Namen verkündet der Welt und der Nachwelt
Mein Gesang? Wer schuf diese Gefild um mich her?
Bin ich dem Markt entflohn, und dem ringsumrasselten Rathaus?
Schreckt mich nicht mehr des Gerichts, oder der Gilden Tumult?
Nicht der Senatorschmaus, der, vom drängenden Pöbel bewundert,
Laut in den Wiegengesang, über der Wöchnerin, tobt?
Nicht anwohnender Schergen Besuch, noch des Bürgergehorsams
Nächtlicher Lärm? nicht mehr kreischender Buben Gewühl,
Zankender Kauf und Verkauf, und des Fuhrmanns Fluch, und der Räder
Rollen, die knallende Peitsch, oder der Hunde Gebell?
Noch der Greuel des Marktes, der gotische Pranger, des Galgens
Bruder! zum Schaugepräng hoch auf den Hügel gepflanzt?
Jetzo stört mich nur etwa die Nachtigall fern am bebüschten
See, die Schwalb am Gesims, oder das purpurne Licht,
Welches durch wankende Rosen und Pfirsiche sanft in die Fenster
Meines Kämmerleins schlüpft, und aus dem Traume mich weckt.
Oder, wandl’ ich durch Blumen, von duftender Blüte beschattet,
Denkend einher, dann umsumst etwa ein Bienchen mein Haupt;
Oder die Taube vom Dach umsäuselt mich; oder ein Sperling
Schwirrt aus dem Kirschenbaum, schwirrt aus den Erbsen empor.
Oft auch, wann ich, beschirmt vor dem Mittag, unter dem Fruchtbaum
Lieg, und starrend mein Blick Würmer im Grase verfolgt,
Schreckt mich ein fallender Apfel zur Seit, und der grünliche Laubfrosch,
Der im Johannsbeerbusch quackend den Regen erseufzt.
Oder wenn ich am plätschernden See, in der Linden Umschattung,
Sinnend die Wellen zähl, oder den östlichen Blitz
Und den farbigen Bogen bewundere, der in des Wassers
Zitterndem Spiegel sich krümmt, und das zerstreute Gewölk;
Springt oft plötzlich ein Schwarm von Gründlingen hinter der Wolke
Fliehendem Schatten empor, schimmernd im sonnigen Glanz;
Oder es rauscht unvermutet der Regen durchs Laub, daß ich triefend
Heim zu dem Weiblein entflieh, welches am Fenster mich höhnt.
Freundliche liebte Natur, du lächelst Weisheit und Einfalt,
Freien Sinn, und zur Tat Kraft und Entschluß in das Herz!
Wen dein lächelnder Blick zum vertrauteren Liebling geweiht hat,
Eilet gern aus dem Dunst und dem Gerassel der Stadt,
Eilt in die grünen Gefild, und atmet auf, und empfindet
Menschlicher, neben des Hains luftigem Bache gestreckt.
Aber wenn sein Schicksal in dumpfige Mauren ihn kerkert,
Pflanzt er sich, wie er kann, irgend ein Gärtchen zum Trost;
Myrte, Zitron und Rose, die Balsamin und der Goldlack,
Und süßduftendes Kraut, schmücken sein Fenstergesims;
Eine blühende Lind und Kastanie, nicht von des Gärtners
Bildender Schere gestutzt; oder umrankender Wein,
Der, voll junger Trauben, sein schwebendes Laub an der Wohnung
Sonnige Fenster geschmiegt, säuselt ihm Kühlung und Ruh.
Kränz, o Viol und Narzisse, mein Haar! Des Gefildes Bewohner
Bin ich, und nicht der Stadt! Schauere Blüten herab,
Heiliger Baum, der oft mit Begeisterung meinen geliebten
Stolberg einsam umrauscht’; oft uns vereinigte hier,
Ihn und Agnes und mich, beschattete: wann, von der Freundschaft
Und der schönen Natur himmlischem Nektar entflammt,
Unsere Seelengespräche den Edelsten unter den Fürsten
Segneten! Heiliger Baum, schauere Blüten herab!
Feiernd denk ich Sein, des Edelsten! der nach der Arbeit
Hier zu ruhn mir vergönnt; feiernd, o Holmer, auch dein:
Denn du sahst das Getümmel um mich, und brachtest die Botschaft
Unserm Vater, der uns gerne wie Kinder erfreut!
An Graf Holmer
Mehr zu diesem Gedicht
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen
Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An Graf Holmer“ von Johann Heinrich Voß ist eine ausführliche, idyllische Beschreibung des Glücks und der Befreiung, die der Dichter in der Natur und der Abgeschiedenheit findet. Es handelt von der Flucht aus dem städtischen Lärm und den Zwängen in eine Welt der Ruhe, der Schönheit und der Freiheit des Geistes. Das Gedicht kann als Ode an die Natur verstanden werden, aber auch als Reflexion über die Bedeutung von Freundschaft und die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben abseits der Konventionen.
Der Text beginnt mit einem Vergleich des Dichters mit einem gefangenen Vogel, der in seinem Käfig traurig war, aber nun, mit dem Blick auf die freie Natur, singt. Dieser Übergang verdeutlicht die Wandlung des Dichters von einer bedrückten zu einer freudigen Existenz. Die folgenden Strophen beschreiben detailliert die Freuden, die dem Dichter in seiner neuen Umgebung widerfahren: die Stille, die Schönheit der Natur, die freundlichen Begegnungen mit Tieren. Die Beschreibungen sind reich an sinnlichen Details und erzeugen eine Atmosphäre der Ruhe und Harmonie. Die Natur wird zum Inbegriff des Glücks, der Freiheit und der Inspiration.
Im Mittelteil des Gedichts werden die negativen Aspekte des städtischen Lebens, die den Dichter zuvor belasteten, in einer Reihe von rhetorischen Fragen aufgezählt. Der Markt, das Gericht, der Tumult und die sozialen Konventionen werden als Quellen von Unbehagen und Enge dargestellt. Diese Aufzählung dient dazu, den Kontrast zur Idylle der Natur zu verstärken und die Befreiung des Dichters von diesen Zwängen zu betonen. Die Abwesenheit dieser Belastungen in der Natur ermöglicht es dem Dichter, sich ganz seinen eigenen Gedanken und Gefühlen zu widmen.
Das Gedicht endet mit einer Huldigung an die Natur und die Freundschaft. Die Erwähnung von Stolberg, Agnes und Holmer zeugt von der Wertschätzung des Dichters für diese wichtigen Beziehungen und für die Menschen, die seine Flucht in die Natur ermöglicht haben. Die Natur wird als Quelle der Weisheit und der Einfalt gelobt, und der Dichter drückt seinen Wunsch aus, für immer Teil dieser Welt zu sein. Die letzten Verse sind eine Verherrlichung der Freiheit, die der Dichter durch die Natur und die Freundschaft gefunden hat. Das Gedicht ist somit ein Plädoyer für ein Leben im Einklang mit der Natur und den eigenen inneren Bedürfnissen.
Weitere Informationen
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.