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Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller

Von

Dies Haus und wir, wir dienen einer Kunst,
Die jeden tiefen Schmerz erquicklich macht
Und schmackhaft auch den Tod.
Und er, den wir uns vor die Seele rufen,
Er war so stark! Sein Leib war so begabt,
Sich zu verwandeln, daß es schien, kein Netz
Vermöchte ihn zu fangen! Welch ein Wesen!

Er machte sich durchsichtig, ließ das Weiße
Von seinem Aug die tiefste Heimlichkeit,
Die in ihm schlief, verraten, atmete
Die Seele der erdichteten Geschöpfe
Wie Rauch in sich und trieb sie durch die Poren
Von seinem Leib ans Tageslicht zurück.
Er schuf sich um und um, da quollen Wesen
Hervor, kaum menschlich, aber so lebendig –
Das Aug bejahte sie, ob nie zuvor
Dergleichen es geschaut. ein einzig Blinzeln,
Ein Atemholen zeugte, daß sie waren
Und noch vom Mutterleib der Erde dampften!
Und Menschen! Schließt die Augen, denkt zurück!
Bald üppige Leiber, drin nur noch im Winkel
Des Augs ein letztes Fünkchen Seele glost,
Bald Seelen, die um sich, nur sich zum Dienst
Ein durchsichtig Gehäus, den Leib, erbauen:
Gemeine Menschen, finstre Menschen, Könige,
Menschen zum Lachen, Menschen zum Erschaudern –
Er schuf sich um und um: da standen sie.

Doch wenn das Spiel verlosch und sich der Vorhang
Lautlos wie ein geschminktes Augenlid
Vor die erstorbne Zauberhöhle legte
Und er hinaustrat, da war eine Bühne
So vor ihm aufgetan wie ein auf ewig
Schlafloses aufgerißnes Aug, daran
Kein Vorhang je mitleidig niedersinkt:
Die fürchterliche Bühne Wirklichkeit.
Da fielen der Verwandlung Künste alle
Von ihm, und seine arme Seele ging
Ganz hüllenlos und sah aus Kindesaugen.
Da war er in ein unerbittlich Spiel
Verstrickt, unwissend, wie ihm dies geschah;
Ein jeder Schritt ein tiefrer als der frühere
Und unerbittlich jedes stumme Zeichen:
Das Angesicht der Nacht war mit im Bund,
Der Wind im Bund, der sanfte Frühlingswind,
Und alle gegen ihn! Nicht den gemeinen,
Den zarten Seelen stellt das dunkle Schicksal
Fallstricke dieser Art. Dann kam ein Tag,
Da hob er sich, und sein gequältes Auge
Erfüllte sich mit Ahnung und mit Traum,
Und festen Griffs, wie einen schweren Mantel,
Warf er das Leben ab und achtete
Nicht mehr denn Staub an seines Mantels Saum
Die nun in nichts zerfallenden Gestalten.

So denkt ihn. Laßt ehrwürdige Musik
Ihn vor euch rufen, ahnet sein Geschick,
Und mich laßt schweigen, denn hier ist die Grenze
Wo Ehrfurcht mir das Wort im Mund zerbricht.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller von Hugo von Hofmannsthal

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller“ von Hugo von Hofmannsthal ist eine bewegende Elegie, die den Tod des Schauspielers Hermann Müller betrauert und zugleich seine Kunst und sein Schicksal reflektiert. Das Gedicht zelebriert die Verwandlungskunst des Schauspielers, die Fähigkeit, sich in verschiedenste Charaktere zu verwandeln und die Illusion lebendiger Wesen auf der Bühne zu erschaffen. Es beschreibt, wie Müller scheinbar mühelos in verschiedene Rollen schlüpfte, wobei der Dichter die Lebendigkeit und Authentizität seiner Darstellungen hervorhebt.

Der zweite Teil des Gedichts widmet sich der Konfrontation des Schauspielers mit der „Wirklichkeit“ nach dem Ende der Vorstellung. Hier wird deutlich, dass die Verwandlungskünste des Schauspielers auf der Bühne nicht auf die Realität übertragbar sind. Müller, außerhalb der schützenden Hülle der Kunst, wird als „Kind“ dargestellt, schutzlos und dem unerbittlichen Spiel des Lebens ausgeliefert. Die „Wirklichkeit“ erscheint als eine Bühne ohne Vorhang, auf der er unaufhörlich agieren muss, ohne die Möglichkeit der Illusion und der Verwandlung. Dies stellt einen Kontrast zur Freiheit und dem Schaffen auf der Bühne dar, wo Müller durch die Verkörperung unterschiedlicher Charaktere eine Art von Macht ausübte.

Die zentrale These des Gedichts ist das tragische Schicksal des Schauspielers, der seine Seele in seiner Kunst verbraucht und im Leben selbst verloren ist. Die Natur wird personifiziert und als Gegenspieler des Schauspielers dargestellt. Der „Wind“, die „Nacht“ und der „Frühlingswind“ sind alle in ein Bündnis mit dem Schicksal eingegangen, um den Schauspieler zu Fall zu bringen. Dies zeigt die Isolation und Hilflosigkeit des Schauspielers in der Realität, in der er den Mechanismen des Lebens, des Verlusts und des Todes unterworfen ist.

Der abschließende Teil des Gedichts ist ein Appell an die Ehrfurcht und das Schweigen. Die Verwendung von Worten wie „Ehrfurcht“ und der Hinweis auf die „Grenze“, an der das Wort zerbricht, verdeutlichen die Unaussprechlichkeit des Todes und die Unfähigkeit, dem Schmerz und der Trauer in angemessener Weise Ausdruck zu verleihen. Hofmannsthal zollt dem Schauspieler Respekt und Anerkennung, indem er seine Kunst und sein Schicksal würdigt und die eigene Ohnmacht des Dichters vor dem Tod anerkennt. Das Gedicht endet mit der Aufforderung, den Schauspieler in der Erinnerung zu bewahren, durch Musik zu ehren und sein Schicksal zu ahnen, was die tiefe Verehrung für Müller zum Ausdruck bringt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.