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Der Henker

Von

Ich kugle Dich auf Deiner roten Decke.
Ich bin am Werk: blank wie ein Metzgermeister.
Tische und Bänke stehen wie blitzende Messer
der Syphiliszwerg stochert in Töpfen voll Gallert und Kleister.

Dein Leib ist gekrümmt und blendend und glänzt wie der gelbe Mond
deine Augen sind kleine lüsterne Monde
dein Mund ist geborsten in Wollust und in der Jüdinnen Not
deine Hand eine Schnecke, die in den blutroten Gärten voll Weintrauben und Rosen wohnte.

Hilf, heilige Maria! Dir sprang die Frucht aus dem Leibe
sei gebenedeit! Mir rinnt geiler Brand an den Beinen herunter.
Mein Haar ein Sturm, mein Gehirn ein Zunder
meine Finger zehn gierige Zimmermannsnägel
die schlage ich in der Christenheit Götzenplunder.

Als dein Wehgeschrei dir die Zähne aus den Kiefern sprengte
da brach auch ein Goldprasseln durch die Himmelssparren nieder.
Eine gigantische Hostie gerann und blieb zwischen Rosabergen stehen
ein Hallelujah gurgelte durch Apostel- und Hirtenglieder.

Da tanzten nackichte Männer und Huren in verrückter Ekstase
Heiden, Türken, Kaffern und Muhammedaner zumal
Da stoben die Engel den Erdkreis hinunter
Und brachten auf feurigem Teller die Finsternis und die Qual.
Da war keine Mutterknospe, kein Auge mehr blutunterlaufen und ohne Hoffen
Jede Seele stand für die Kindheit und für das Wunder offen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Henker von Hugo Ball

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Henker“ von Hugo Ball ist eine verstörende und vielschichtige Auseinandersetzung mit Gewalt, Sexualität, Religion und Zerstörung. Es entzieht sich einer einfachen Interpretation und offenbart eine expressionistische Bildsprache, die sowohl abstößt als auch fasziniert. Die Wahl des Henkers als zentrale Figur deutet auf die Beschäftigung mit der Macht, dem Tod und der menschlichen Abgründe hin. Der Text ist geprägt von einer düsteren Atmosphäre und einer unheimlichen Mischung aus religiösen und profanen Elementen.

Die Sprache des Gedichts ist von roher Gewalt und sinnlicher Übersteigerung geprägt. Bilder von Blut, Zerstörung und sexueller Erregung wechseln sich ab mit religiösen Anspielungen und einer Zurschaustellung des Makabren. Der Henker erscheint als ein entfesselter Akteur, der über Leben und Tod herrscht. Seine „blanke“ Erscheinung und die „blitzenden Messer“ suggerieren eine kalte Berechnung und professionelle Ausübung der Gewalt. Die Metaphern, wie „Syphiliszwerg“, die „Töpfen voll Gallert und Kleister“ oder die „Jüdinnen Not“ , lassen auf eine gesellschaftliche Verachtung schließen, die von Ball kritisiert wird.

Das Gedicht scheint eine bizarre und verstörende Kreuzigungsszene zu beschreiben, die von ekstatischen Reaktionen begleitet wird. Der „gelbe Mond“ und die „lüsternen Monde“ deuten auf eine pervertierte Form der Sinnlichkeit hin. Der „geile Brand“ am Körper des Henkers, sowie das „Goldprasseln“ und die „gigantische Hostie“ sind Symbole für die Vermischung von religiöser Erwartung und sexueller Ekstase, die das Gedicht in den Mittelpunkt stellt. Die abschließenden Verse verstärken diesen Eindruck noch, indem sie eine apokalyptische Vision von Tanz, Ekstase und dem Aufstieg des Bösen entwerfen.

Die Bedeutung des Gedichts liegt in seiner radikalen Ablehnung von Konventionen und seiner Fähigkeit, den Leser mit seinen verstörenden Bildern zu konfrontieren. Ball entlarvt die dunklen Seiten der menschlichen Existenz und stellt die Grenzen zwischen Sexualität, Gewalt und Religion in Frage. Der Titel „Der Henker“ deutet auf ein existenzielles Verständnis von Macht und dem Leid der Menschheit hin, das Ball hier in einer erschütternden und zugleich faszinierenden Weise verarbeitet. Die Bilder von Zerstörung und Ekstase deuten auf die Auflösung moralischer Werte und die Überwindung traditioneller Strukturen hin.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.