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XI a. Ich bin iemer ander

Von

I

Ich bin iemer ander und niht eine
der grôzen liebe, der ich nie wart vrî.
waeren nû die huotaere alle gemeine
toup unde blint, swenne ich ir waere bî,
Sô mohte ich mîn leit
eteswenne mit sange ir wol künden.
mohte ich mich mit rede zuo ir gevründen,
sô wurde wunders vil von mir geseit.

II

Sî ensol niht allen liuten lachen
alsô von herzen, same si lachet mir,
und ir ane sehen sô minneclîch niht machen.
waz hât aber ieman ze schouwen daz an ir,
Der ich leben sol
unde an der ist mîn wunne behalten?
jâ enwil ich niemer des eralten,
swenne ich si sihe, mir sî von herzen wol.

III

Sît si herzeliebe heizent minne,
so enweiz ich, wie diu liebe heizen sol.
liebe won mir dicke in mînen sinnen.
liep haet ich gerne, leides enbaere ich wol.
Liebe diu gît mir
hôhen muot, dar zuo vreude unde wunne.
sô enweiz ich, waz diu leide kunne,
wan daz ich iemer trûren muoz von ir.

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Gedicht: XI a. Ich bin iemer ander von Heinrich von Morungen

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „XI a. Ich bin iemer ander“ von Heinrich von Morungen ist ein Liebesgedicht, das die widersprüchliche Natur der Liebe und ihre Auswirkungen auf den Liebenden thematisiert. Das lyrische Ich beschreibt sich als ständig verändert, aber zugleich untrennbar mit der großen Liebe verbunden, von der es nie frei ist. Die ersten beiden Strophen betonen die Ungreifbarkeit und unergründliche Faszination der Geliebten, während die dritte Strophe die Ambivalenz der Liebe in den Vordergrund rückt, die sowohl Freude als auch Leid bereitet.

In der ersten Strophe drückt das lyrische Ich den Wunsch aus, seine Liebe zu offenbaren, würde es die Möglichkeit dazu geben, unbeobachtet und ohne Störung die Geliebte zu sehen. Die Formulierung „Ich bin iemer ander und niht eine“ deutet auf eine innere Zerrissenheit und Unbeständigkeit hin, die durch die Liebe ausgelöst wird. Der Wunsch nach Stille und Ungestörtheit (die „huotaere“ die „Gemeine“ sind, also taub und blind), unterstreicht die Intimität und den Geheimnischarakter der Beziehung. Die Zeile „Sô mohte ich mîn leit eteswenne mit sange ir wol künden“ offenbart den Wunsch nach Ausdruck, der jedoch durch die Umstände eingeschränkt wird.

Die zweite Strophe beschreibt die subjektive Wahrnehmung des lyrischen Ichs von der Geliebten. Sie scheint anderen gegenüber freundlich und liebenswürdig zu sein, doch nur für das lyrische Ich besitzt sie eine besondere Anziehungskraft. Die Betonung auf „mir“ und „ich“ unterstreicht die Exklusivität dieser Liebe, während die Frage „waz hât aber ieman ze schouwen daz an ir, Der ich leben sol“ die Sehnsucht nach der Geliebten als Lebensgrundlage ausdrückt. Die Zeile „jâ enwil ich niemer des eralten, swenne ich si sihe, mir sî von herzen wol“ unterstreicht die tiefe Freude und das Glück, das das lyrische Ich im Angesicht der Geliebten empfindet.

Die dritte Strophe bildet den Höhepunkt des Gedichts, indem sie die Ambivalenz der Liebe offenlegt. Das lyrische Ich ist sich der doppelten Natur der Liebe bewusst: Sie bringt Freude und Glück, aber auch Leid und Trauer. Der Kontrast zwischen „herzeliebe“, die „minne“ heißt, und dem unbekannten Namen für das Leid verdeutlicht die Zerrissenheit des lyrischen Ichs. „Liebe diu gît mir hôhen muot, dar zuo vreude unde wunne. sô enweiz ich, waz diu leide kunne, wan daz ich iemer trûren muoz von ir“ beschreibt die Freude und das Leid, die untrennbar miteinander verbunden sind, und offenbart die melancholische Erkenntnis, dass die Liebe auch Schmerz verursacht. Das Gedicht reflektiert somit die komplexen Emotionen, die mit der Liebe einhergehen, und die ständige Veränderung, die sie im Liebenden auslöst.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.