Die Entschwundene
Es war ein heitres goldnes Jahr,
Nun rauscht das Laub im Sande,
Und als es noch im Knospen war,
Da ging sie noch im Lande.
Besehen hat sie Berg und Tal
Und unsrer Ströme Wallen;
Es hat im jungen Sonnenstrahl
Ihr alles wohlgefallen.
Ich weiss in meinem Vaterland
Noch manchen Berg, o Liebe,
Noch manches Tal, das Hand in Hand
Uns zu durchwandern bliebe.
Noch manches schöne Tal kenn ich
Voll dunkelgrüner Eichen; –
O fernes Herz, besinne dich
Und gib ein leises Zeichen!
Da eilte sie voll Freundlichkeit,
Die Heimat zu erlangen –
Doch irrend ist sie allzuweit
Und aus der Welt gegangen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Entschwundene“ von Gottfried Keller ist eine melancholische Reflexion über Verlust und die Vergänglichkeit der Schönheit. Es zeichnet das Bild einer geliebten Person, die nicht mehr anwesend ist, und kontrastiert die lebendige Vergangenheit mit der Stille und Leere der Gegenwart. Die Sprache ist schlicht, aber eindringlich, und verwendet Bilder der Natur, um die emotionale Reise des Sprechers zu beschreiben.
Der erste Abschnitt etabliert die Atmosphäre des Gedichts, indem er eine Veränderung von Freude zu Trauer feststellt. Das „heitre goldne Jahr“ steht für glückliche Zeiten, die nun vorbei sind, wie das „Laub im Sande“ andeutet. Der Hinweis, dass die Geliebte während der Knospenzeit noch da war, unterstreicht den Kontrast zwischen der blühenden Vergangenheit und der kalten Gegenwart. Der zweite Abschnitt beschreibt die Freude der Geliebten an der Natur, wie sie Berge, Täler und Flüsse erkundet hat. Die Verwendung von „wohlgefallen“ deutet auf ihre Wertschätzung für das Leben und die Welt hin.
Die Sehnsucht nach der geliebten Person wird im dritten und vierten Abschnitt deutlich. Der Sprecher erinnert sich an Orte, die er mit der Geliebten teilen möchte, und spricht sie direkt an, bittet sie, sich zu erinnern und ein Zeichen zu geben. Die Wiederholung des Wortes „noch“ verstärkt das Gefühl des Verlusts und die Sehnsucht nach der Rückkehr der Geliebten. Die Beschreibung der Täler mit „dunkelgrünen Eichen“ erzeugt eine romantische und leicht düstere Atmosphäre, die die tiefe Verbundenheit des Sprechers mit der Natur und seiner verlorenen Liebe widerspiegelt.
Der letzte Abschnitt enthüllt die tragische Wahrheit: Die Geliebte ist gestorben. Ihre Reise zur Heimat endete in Irrwegen, und sie ist „aus der Welt gegangen“. Das Gedicht endet mit einem Gefühl der Resignation und des unaufhaltsamen Verlustes. Kellers Gedicht ist eine wunderschöne und ergreifende Elegie, die die Schmerz und die Schönheit des Abschieds und der Erinnerung vereint. Es ist ein eindringliches Zeugnis der menschlichen Erfahrung des Verlustes und der Sehnsucht nach dem, was nicht mehr ist.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.