An die Verstummten
O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend
An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren,
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut;
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt.
O, das versunkene Läuten der Abendglocken.
Hure, die in eisigen Schauern ein totes Kindlein gebärt.
Rasend peitscht Gottes Zorn die Stirne des Besessenen,
Purpurne Seuche, Hunger, der grüne Augen zerbricht.
O, das gräßliche Lachen des Golds.
Aber stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit,
Fügt aus harten Metallen das erlösende Haupt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An die Verstummten“ von Georg Trakl ist eine düstere und beklemmende Reflexion über die Abgründe der Großstadt und die menschliche Existenz, die von Leid, Verfall und dem Verlust jeglicher Hoffnung geprägt ist. Der Titel deutet bereits auf eine zentrale Thematik hin: Das Schweigen und die Sprachlosigkeit derer, die am Rande der Gesellschaft stehen und unter den Bedingungen der Moderne leiden. Trakls Werk ist ein Ausdruck der tiefen Verzweiflung über die Entmenschlichung und das Elend, das er in der urbanen Umgebung wahrnimmt.
Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung des „Wahnsinns der großen Stadt“, der durch Bilder des Verfalls und der Isolation charakterisiert wird. „Verkrüppelte Bäume“ und eine „schwarze Mauer“ symbolisieren die sterile und feindselige Umgebung, in der die Menschen gefangen sind. Die Metapher des „Geists des Bösen“ aus einer „silbernen Maske“ deutet auf eine tiefgreifende moralische Verdorbenheit hin, die sich in der Stadt manifestiert. Das „Licht mit magnetischer Geißel“ verdrängt die „steinerne Nacht“, was eine künstliche und zerstörerische Dynamik andeutet, die die natürliche Ordnung aus den Angeln hebt. Die „versunkenen Abendglocken“ suggerieren den Verlust von Spiritualität und die Auflösung traditioneller Werte.
Im zweiten Teil verdichten sich die Bilder des Grauens. Eine „Hure“ gebiert ein „totes Kindlein“, was eine tiefe Verzweiflung und den Verlust jeglicher Hoffnung auf eine bessere Zukunft symbolisiert. „Rasend peitscht Gottes Zorn“ die Stirn des „Besessenen“, was auf eine göttliche Verurteilung und die Qualen des menschlichen Daseins verweist. „Purpurne Seuche“ und „Hunger“ stehen für körperliche und seelische Zerstörung, wobei der „grüne Augen zerbricht“ eine besondere Eindringlichkeit erhält. Das „gräßliche Lachen des Golds“ deutet auf eine entmenschlichte Gesellschaft hin, in der materielle Werte über moralische Grundsätze gestellt werden und das Elend der Anderen ignoriert wird.
Der letzte Teil bietet einen Hoffnungsschimmer, der jedoch in der Hoffnungslosigkeit des Gedichts verankert ist. „Stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit“ symbolisiert die unterdrückten und leidenden Menschen, die im Verborgenen leiden. Der Ausdruck „stummere“ verstärkt die Sprachlosigkeit und das Gefühl der Isolation. Das „erlösende Haupt“, das „aus harten Metallen“ geformt wird, könnte als Symbol für eine mögliche Erlösung oder einen Ausweg aus dem Leid interpretiert werden, doch bleibt diese Möglichkeit im Unklaren. Das Gedicht endet offen, wobei die Erlösung letztlich unerreichbar scheint, da die Metapher des „harten Metalls“ zugleich Widerstand und Unmöglichkeit suggeriert. Trakls Werk ist somit eine erschütternde Auseinandersetzung mit den Abgründen der menschlichen Existenz und den zerstörerischen Kräften der Moderne.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.