Gina
Noch weht um dich der Duft der großen Steppen,
Der Sommer Polens, und der Wogengang
Der Weizenfelder, wenn den Fluß entlang
Der Treidler Schultern große Flöße schleppen.
Tief, wie die schwarzen, herbstlichen Zisternen,
Die einsam stechen in das Morgengraun,
Sind deine Augen, die ins Weite schaun
Aus engen Straßen nach den Wintersternen.
Du wurdest für ein wildes Pferd geschaffen,
Für einen Ritt durch Nächte und Gefahr,
Die Tschapka auf der Stirn mit Goldagraffen.
Darunter flatterte dein schwarzes Haar,
Und wie von Silber glänzten unsre Waffen,
Wenn durch die Mondnacht zieht der weiße Aar.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Gina“ von Georg Heym ist eine Liebeserklärung, die sich in einer ebenso sinnlichen wie melancholischen Atmosphäre bewegt. Heym porträtiert hier nicht nur eine Frau, sondern verwebt ihre Erscheinung mit der Weite und den Sehnsüchten der Natur, insbesondere der polnischen Steppenlandschaft. Bereits die ersten vier Verse evozieren Bilder von Sommer, Weizenfeldern und dem Treiben am Fluss, was Gina mit einer ursprünglichen, fast mythischen Kraft in Verbindung bringt. Die Beschreibung ihrer Person ist durchzogen von Metaphern und Vergleichen, die sie als komplex und facettenreich darstellen.
Die zweite Strophe vertieft das Bild der Frau. Die Augen Ginas werden mit „schwarzen, herbstlichen Zisternen“ verglichen, was auf eine tiefe, geheimnisvolle und vielleicht auch traurige Innenschau hindeutet. Die „engen Straßen“ und die Sehnsucht nach den „Wintersternen“ deuten auf ein Gefühl der Enge und den Wunsch nach Weite und Freiheit hin. Der Gegensatz zwischen der Enge der Stadt und der Weite der Natur, in der Gina verwurzelt ist, erzeugt eine Spannung, die ihre komplexe Persönlichkeit widerspiegelt. Die Metaphern erzeugen ein Gefühl der Melancholie, das von der Erwartung eines möglichen Unglücks geprägt ist.
Die dritte Strophe, die aus den letzten vier Versen besteht, mündet in einer fast heroischen Vision Ginas. Sie wird als „für ein wildes Pferd geschaffen“ dargestellt, was ihre Ungebundenheit und ihren Freiheitsdrang unterstreicht. Die Vorstellung eines Ritts durch „Nächte und Gefahr“ mit einer „Tschapka“ (Kopfbedeckung) auf der Stirn und „Goldagraffen“ (Verzierungen) verleiht ihr etwas Wildes und Unzähmbares. Die letzten beiden Verse, in denen von flatterndem schwarzem Haar und „silbern“ glänzenden Waffen die Rede ist, die unter der Mondnacht durch den „weißen Aar“ (Adler) gezogen werden, erheben Gina zu einer Figur der Nacht und des Kampfes, einer Kriegerin von erhabener Schönheit.
Insgesamt ist „Gina“ ein Gedicht, das von Sehnsucht und Leidenschaft geprägt ist. Es feiert die Stärke, Wildheit und Schönheit der Frau und verbindet sie mit der Weite und Ursprünglichkeit der Natur. Der Kontrast zwischen den Bildern der Steppe, des Flusses und der Stadt, sowie die Metaphern der Augen und des Wildpferds, erzeugen eine kraftvolle und poetische Atmosphäre, die Ginas faszinierende Persönlichkeit und die Sehnsucht des Dichters nach ihr widerspiegelt. Das Gedicht ist eine Hommage an die Freiheit und die Kraft der Liebe, die in den Bildern von Gefahr und Nacht einen starken Ausdruck findet.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.