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Lustig tritt ein schöner Knabe…

Von

Lustig tritt ein schöner Knabe
In die Abendschenke ein,
Und sogleich zur kühlen Labe
Bringt die Kellnerin den Wein.

Ihn gelüstet′s, sie zu küssen,
Er umschließt sie, fest und dicht,
Doch sie gießt, um nicht zu müssen,
Rasch den Wein ihm ins Gesicht.

Jetzt erst schaun sich alle beide
Näher an auf offnem Plan,
Und sie sehn mit stillem Neide,
Daß nicht eines recht getan.

Er ist stattlich anzuschauen,
Wie das Herz sich′s nur begehrt,
Und der ganze Flor der Frauen
Hielte ihn der Liebe wert.

Doch sie selbst ist auch ein Engel,
Dem man seinen Kuß nicht raubt,
Wie man Kirschen rupft vom Stengel
Und Johannisbeeren klaubt.

Gänzlich sind sie nun geschieden
Und doch innerlich verwandt,
Doch die Gäste sind zufrieden,
Denn sie klatschen in die Hand.

Bis zur Stirn hinauf erglühend,
Bringt sie ihm das zweite Glas,
Aber dunkle Flammen sprühend,
Wie sie selbst, verschmäht er das.

Es verlockt ihn nicht, zu nippen,
Wie der goldne Wein auch lacht,
Und er fragt mit heißen Lippen
Nur ums Lager für die Nacht.

Selber führt sie ihn ins Zimmer,
Und er nickt ihr freundlich Dank,
Doch verbittet er noch immer
Ihre Speise, ihren Trank.

Einsam hört er und verdrossen
Nun der Lust der andern zu,
Endlich wird das Haus verschlossen,
Und der letzte sucht die Ruh′.

Horch, da klopf es, leise, leise,
Schloß und Riegel geben nach,
Und in hold-verschämter Weise
Tritt das Mädchen ins Gemach.

Hell beleuchtet, bis zum Blenden,
Steht sie da im Mondenstrahl,
Und in ihren weißen Händen
Blinkt der Wein zum drittenmal.

Und sie flüstert halb mit Tränen:
Ungern tat ich dir so weh!
Doch die andern konnten wähnen,
Daß es unrecht mit mir steh′!

Jetzt erfüll′ ich dein Verlangen,
Nimm den Kuß von meinem Mund,
Aber hast du ihn empfangen,
Leer′ das Glas auch bis zum Grund!

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Gedicht: Lustig tritt ein schöner Knabe... von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lustig tritt ein schöner Knabe…“ von Friedrich Hebbel erzählt eine Geschichte der verpassten Chancen, der Zurückweisung und der unerwarteten Wendung. Das Gedicht beginnt mit einer scheinbar trivialen Szene in einer Schenke, doch schon früh deutet sich eine tiefere Ebene an, in der das Verhalten der Figuren und die sich entfaltende Handlung eine Metapher für gesellschaftliche Konventionen, Stolz und die Komplexität menschlicher Beziehungen darstellt.

Der junge Mann, der zunächst von der Kellnerin abgewiesen wird, zeigt in seinen Reaktionen einen Wandel. Seine anfängliche Leidenschaft und sein Wunsch, sie zu küssen, werden durch ihre Abwehr unterbrochen. Seine Reaktion, die den Wein verschmäht und stattdessen nach einem Lager für die Nacht fragt, deutet auf eine innere Entwicklung hin. Er scheint sich zunächst von der oberflächlichen Anziehung abzuwenden und nach etwas Tieferem zu suchen. Die Kellnerin, die zunächst ihre Distanz wahrt, zeigt jedoch in der Nacht Reue und ein Verlangen, die Situation zu korrigieren, indem sie ihm erneut den Wein anbietet und einen Kuss gewährt.

Die Sprache des Gedichts ist schlicht und dennoch eindringlich. Hebbel verwendet einfache Worte, um komplexe Emotionen und soziale Dynamiken darzustellen. Die wiederholten Hinweise auf den Wein, der mal als Zeichen der Begierde, mal als Symbol der Ablehnung und schließlich als Ausdruck der Versöhnung dient, verstärken die symbolische Bedeutung des Gedichts. Die Verwendung des Reimschemas und des Rhythmus trägt zur musikalischen Qualität und zum Verständnis des Gedichts bei, wobei die Wiederholungen die zentralen Themen hervorheben.

Das Gedicht kann als eine Reflexion über die Konflikte zwischen Begehren und gesellschaftlichen Normen, Stolz und Vergebung sowie der Suche nach wahrer Intimität interpretiert werden. Die anfängliche Ablehnung und die spätere Annäherung können als ein Spiel von Macht und Anziehung verstanden werden, in dem beide Figuren ihre eigenen Entscheidungen treffen und die Konsequenzen tragen. Die Wendung am Ende, in der die Kellnerin dem Knaben den ersehnten Kuss und den Wein anbietet, deutet darauf hin, dass beide letztlich die gesellschaftlichen Konventionen hinter sich lassen und eine neue Form der Annäherung finden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.