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Geschlossener Kreis

Von

Nicht vermochte die Traube den Wein noch länger zu halten,
Als man sie kelterte, war sie dem Zerspringen schon nah;
Auch nicht konnte das Faß, das starke, den feurigen fesseln,
Wenn man nicht schnell ihn gezapft, hätt′ er sich selber befreit;
Noch viel weniger hält ihn der Dichter, der ihn getrunken,
Jetzt zurück, als Gedicht fliegt er schon wieder davon;
Mög′ es den Hörer berauschen, und mög′ er nicht eher ernüchtern,
Bis er Reben gepflanzt, daß sich vollende der Kreis!

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Gedicht: Geschlossener Kreis von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Geschlossener Kreis“ von Friedrich Hebbel ist eine Reflexion über die Unaufhaltsamkeit des Lebens, die Vergänglichkeit und die zyklische Natur von Schöpfung und Erfahrung. Es beginnt mit dem Bild der Traube, die sich nach der Kelterung, also nach dem Prozess der Veränderung, dem Zerspringen nähert. Dies deutet auf die Unmöglichkeit hin, etwas in seinem ursprünglichen Zustand zu bewahren, sobald es in einen Veränderungsprozess eingetreten ist. Der Wein, der aus der Traube gewonnen wird, entweicht dann auch dem Fass, falls er nicht rechtzeitig genutzt wird.

Das Gedicht setzt diesen Gedanken fort, indem es die Unfähigkeit des Dichters betont, den Wein, der hier als Metapher für Inspiration und Gefühl steht, festzuhalten. Der Dichter kann den Wein trinken, ihn aber nicht dauerhaft in seinem Inneren bewahren. Vielmehr transformiert sich der Wein in ein Gedicht, das sich von ihm löst und in die Welt hinausgetragen wird. Dieses „Davonfliegen“ des Gedichts unterstreicht die Idee der Ungebundenheit und die fortwährende Zirkulation von Energie und Kreativität.

Der Höhepunkt des Gedichts liegt in der Aufforderung an den Hörer, sich vom Wein des Gedichts berauschen zu lassen. Diese Aufforderung beinhaltet eine aktive Rolle des Rezipienten: Er soll sich nicht zu früh ernüchtern. Der Kreis schließt sich mit der Anregung, Reben zu pflanzen. Diese Metapher suggeriert, dass die wahre Vollendung des Kreislaufs in der Erschaffung von neuem Leben und neuen Möglichkeiten liegt. Der Hörer soll selbst zum Schöpfer werden, indem er die Quelle des Weins, also die Inspiration und Kreativität, wiederherstellt und den Kreislauf am Laufen hält.

Insgesamt ist „Geschlossener Kreis“ ein Gedicht, das die Dynamik von Entstehung, Vergänglichkeit und Erneuerung thematisiert. Es betont die Notwendigkeit, den Fluss des Lebens zuzulassen, Veränderungen zu akzeptieren und aktiv am Kreislauf der Schöpfung teilzunehmen. Das Gedicht ist damit eine Ode an die Kreativität, die unaufhaltsam ist und sich ständig in neuer Form manifestiert, solange wir uns dem Prozess nicht verschließen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.