»Dichter sollte ich sein, doch will es leider die Zeit nicht;
Wäre sie, was sie nicht ist, wäre ich, was ich nicht bin!«
Schwanger fühle ich mich, den Heiland könnt′ ich gebären,
Aber die Stunde ist schlecht, und ich ersticke das Kind.
Schweig mir, Vettel, denn hätte der Himmel dich wirklich gesegnet,
Brächtest du′s freudig zur Welt, fehlten auch Krippe und Stall.
Ein Narr in Folio
Mehr zu diesem Gedicht
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ein Narr in Folio“ von Friedrich Hebbel ist eine kurze, aber tiefgründige Selbstreflexion über die Diskrepanz zwischen dem poetischen Anspruch und der Realität. Es offenbart die innere Zerrissenheit eines Individuums, das sich nach kreativer Entfaltung sehnt, aber durch äußere Umstände und innere Blockaden daran gehindert wird. Die ersten beiden Zeilen etablieren das zentrale Thema: den Wunsch nach Dichtkunst und das Scheitern dieses Wunsches aufgrund ungünstiger Zeitumstände. Der Dichter, der sich als „Narr“ tituliert, scheint von der Unmöglichkeit, sein kreatives Potenzial auszuschöpfen, frustriert.
Der zweite Teil des Gedichts verstärkt diese innere Qual durch eine eindringliche Metapher. Der Dichter fühlt sich „schwanger“ mit dem „Heiland“, also mit einer göttlichen Inspiration und einem großen künstlerischen Werk. Doch die „Stunde ist schlecht“, was bedeutet, dass die Bedingungen für die Geburt dieses Werks ungünstig sind. Stattdessen „erstickt“ der Dichter das Kind, was das Scheitern und die Unterdrückung der eigenen Kreativität symbolisiert. Diese Zeilen sind besonders dramatisch und zeigen die Verzweiflung über das Unvermögen, das eigene Potential zu verwirklichen.
Die letzten beiden Zeilen des Gedichts richten sich an eine „Vettel“, eine alte oder verächtliche Frau, was wohl eine Verkörperung der äußeren Umstände oder vielleicht auch der eigenen inneren Zweifel darstellt. Der Dichter stellt in Frage, ob die „Vettel“ jemals durch den Himmel gesegnet wurde, was impliziert, dass sie die wahre Freude an der Geburt eines Werks, trotz widriger Umstände, nicht kennt. Die Anspielung auf Krippe und Stall verstärkt die religiöse Metaphorik und deutet auf die Größe des unerlösten Werks hin.
Insgesamt ist das Gedicht ein Ausdruck von Selbstzweifeln, künstlerischer Ohnmacht und dem Gefühl, in einer Welt gefangen zu sein, die die eigene Kreativität behindert. Es ist eine bittere Klage über die unerfüllte Sehnsucht nach schöpferischer Freiheit und die Tragödie des Unvermögens, das eigene Potential zu entfalten. Die Kürze des Gedichts und die prägnanten Bilder verstärken die Intensität der Gefühle und machen es zu einem eindringlichen Portrait der Künstlerseele.
Weitere Informationen
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.
