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Die Odaliske

Von

Es harrt auf weichem Purpursamt
Die jüngste Sklavin ihres Herrn,
Und unter dunkler Braue flammt
Ihr Auge, wie ein irrer Stern.

Sie stammt aus jenem Lande nicht,
Wo ehrbar-blond der Weizen reift,
Und stachlicht-keusch die Gerste sticht,
Wenn man sie noch so leise streift.

Sie ist der Feuerzone Kind,
Wo jede Frucht von selber fällt,
Weil sie der Baum, der zu geschwind
Die zweite zeitigt, gar nicht hält.

Sie hat von dem Johannisstrauch
Die karge Beere nie gepflückt,
Die, ohne Kraft und ohne Hauch,
Zur Abwehr gar den Dorn noch zückt.

Doch ward sie oft vom Wein bespritzt,
Weit himmelan die Rebe drang
Und dann, vom Sonnenstrahl zerschlitzt,
Die Traube in der Luft zersprang.

Drum sitzt sie auch nicht seufzend da,
Nun ihre eigne Stunde naht,
Sie denkt der Rosen, fern und nah,
Die sie schon selbst gebrochen hat.

Und sieh, der Pascha tritt herein,
Zwar ernst und düster, doch nicht alt,
Und vor ihm her den Becher Wein
Trägt eines Mohren Nachtgestalt.

Er sieht das Mägdlein lange an,
Mißt Zug für Zug, und nickt nur still,
Zum goldnen Becher greift er dann
Und fragt, ob sie nicht trinken will.

Ihr aber schwillt schon jetzt das Blut
Bis an der Adern letzten Rand,
Drum fürchtet sie des Weines Glut,
Und stößt ihn weg mit ihrer Hand.

Nun weist er stumm den Mohren fort,
Dem wild das Auge glüht vor Lust,
Und setzt sich an den weichsten Ort
Und küßt ihr langsam Mund und Brust.

Und plötzlich dringt ein jäher Schrei
Von außen ihr ins bange Ohr;
Sie ruft verstört, was das denn sei?
Und er versetzt: es starb der Mohr!

Er trank den Wein, den ich dir bot,
Und wird der Sünde nimmer froh,
Denn beigemischt war ihm der Tod! –
Ich prüfe jede Sklavin so!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Odaliske von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Odaliske“ von Friedrich Hebbel zeichnet ein komplexes Bild einer jungen Sklavin, die in einem orientalischen Kontext auf ihren Herrn, den Pascha, wartet und mit einer überraschenden Wendung konfrontiert wird. Das Gedicht ist reich an Symbolik und erzeugt durch seine Sprache eine sinnliche und zugleich bedrohliche Atmosphäre.

Die ersten Strophen beschreiben die junge Frau, ihre Herkunft und ihre innere Verfassung. Sie wird als Kind der „Feuerzone“ dargestellt, was auf ihre leidenschaftliche Natur und die Bereitschaft zum Genuss hindeutet. Im Gegensatz zu den tugendhaften Frauen aus kühleren Regionen, die durch ihre „stachlicht-keusche“ Gerste beschrieben werden, ist die Odaliske ein Produkt der sinnlichen Welt, vergleichbar mit reifen Früchten, die von selbst fallen. Dies deutet auf eine Lebensweise hin, die von Instinkten und Begierden geprägt ist. Sie ist sich ihrer erotischen Macht bewusst, was in dem Vers „Sie denkt der Rosen, fern und nah, / Die sie schon selbst gebrochen hat“ zum Ausdruck kommt.

Die zentrale Handlung des Gedichts entfaltet sich mit dem Erscheinen des Paschas. Die Szene ist von einer subtilen Spannung geprägt. Der Pascha, zunächst ernst und distanziert, prüft die Sklavin, indem er ihr Wein anbietet. Ihre Ablehnung des Weins, der als Symbol für die Verführung und das Vergnügen gesehen werden kann, deutet auf ein gewisses Maß an innerer Stärke oder Vorsicht hin. Sie fürchtet dessen Glut, die Gefahr, die mit dem Angebot verbunden ist. Der Kontrast zwischen der sinnlichen Beschreibung der Odaliske und ihrer Zurückhaltung vor dem Wein schafft eine überraschende Dynamik.

Die überraschende Pointe des Gedichts liegt in dem Tod des Mohren, der den Wein servierte. Der Pascha offenbart, dass der Wein mit Gift versetzt war und er die Sklavin durch diese Probe auf ihre Treue testete. Dieses grausame Detail offenbart eine Welt, in der Macht, Kontrolle und Misstrauen die Beziehungen beherrschen. Die Odaliske ist kein passives Objekt, sondern wird durch die Prüfung zum potentiellen Objekt von Kontrolle, deren Reaktion vom Pascha bewertet wird. Die letzte Strophe deutet an, dass diese Prüfung ein Ritual ist, das der Pascha an allen seinen Sklavinnen durchführt, was die düstere und unerbittliche Natur der Welt, in der sie leben, noch weiter unterstreicht.

Das Gedicht ist somit eine Studie über Macht, Verführung, Prüfung und die düstere Realität, die hinter den Fassaden von Prunk und Sinnlichkeit verborgen ist. Hebbel verwendet eine bildreiche Sprache und eine überraschende Wendung, um eine beunruhigende Reflexion über die menschliche Natur und die soziale Hierarchie zu erzeugen. Die Odaliske steht am Scheideweg zwischen Unterwerfung und möglicher Manipulation und das Gedicht endet mit einer Frage nach ihrer wahren Reaktion.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.