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Das Mädchen im Kampf mit sich selbst

Von

1.

Schweigend sinkt die Nacht hernieder,
Und in tiefster Dunkelheit
Löst das Mädchen ihre Glieder
Aus dem engen Sonntagskleid.
Aber ihre Hände irren
Bei den Locken dann und wann,
Und um diese zu entwirren,
Zündet sie ihr Lämpchen an.

Schüchtern nun bei seinem Strahle
Schaut sie in des Spiegels Rund,
Und ihr tut zum ersten Male
Ihrer Schönheit Macht sich kund.
Tief errötend, dennoch zaudernd,
Blickt sie fort und fort hinein;
Dann, wie vor sich selbst erschaudernd,
Löscht sie schnell der Lampe Schein.

Leise in sich selbst versinkend
Und aus eignen Zaubers Glanz
Inniges Genügen trinkend,
Ist sie still und selig ganz.
Doch sie will die Lust bezwingen,
Weil sie aus ihr selber quillt,
Da verklärt dies holde Ringen
Mailich süß ihr frommes Bild.

Und sie sieht′s mit halbem Bangen,
Daß, je mehr sie sich verdammt,
Ihr′s von Stirn und Mund und Wangen
Immer sternenhafter flammt.
Gottes eigner Finger leuchtet
Golden durch ihr Angesicht,
Und so wie ihr Blick sich feuchtet,
Löscht ihr Hauch zugleich das Licht.

2.

Doch zu nie erschöpftem Segen
Wird dies heilige Empfinden
Auch ihr Innerstes erregen
Und im Maß der Schönheit binden;

Aug′ in Aug′ mit sich im Spiegel,
Feite sie sich selbst auf immer;
Unzerbrechlich ist das Siegel,
Wie auch lockt der Erde Schimmer.

Diese wunderbaren Formen,
Die des Leibes Bau ihr schmücken,
Werden die verwandten Normen
Auch in ihre Seele drücken;

Und so wird ihr innres Leben
All die Harmonie erwidern,
Die sie mit geheimem Beben
Angeschaut in Leib und Gliedern.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Mädchen im Kampf mit sich selbst von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Mädchen im Kampf mit sich selbst“ von Friedrich Hebbel beschreibt einen inneren Konflikt, der durch das Erwachen des Bewusstseins von Schönheit und Sinnlichkeit ausgelöst wird. Die junge Frau, in der Stille der Nacht, entkleidet sich von ihrem Sonntagskleid, einem Symbol der Konvention, und begibt sich in eine Phase der Selbstentdeckung. Durch die Betrachtung ihres eigenen Spiegelbildes wird sie sich ihrer Schönheit bewusst, ein Ereignis, das sowohl Faszination als auch Verunsicherung in ihr auslöst.

Der Konflikt des Mädchens manifestiert sich in der Ambivalenz zwischen Neugier und Scham. Sie betrachtet sich im Spiegel, genießt offenbar ihr eigenes Erscheinungsbild, doch gleichzeitig versucht sie, diese neu entdeckte Sinnlichkeit zu unterdrücken. Das Löschen des Lichts, sowohl im ersten als auch im zweiten Teil des Gedichts, symbolisiert den Versuch, der eigenen, als „verwerflich“ empfundenen Lust zu widerstehen. Ihr „holde Ringen“ deutet auf einen inneren Kampf hin, der sie in ihrem frommen Bild verklärt. Das Gedicht schildert somit den Beginn eines inneren Dialogs zwischen weltlichen und religiösen Impulsen.

Die zweite Strophe des Gedichts erweitert die Analyse des inneren Wandels. Hebbel deutet an, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Schönheit zu einer dauerhaften Veränderung führt. Das Mädchen befreit sich von der Beschränkung, sie wird „Feite sie sich selbst auf immer“. Die Schönheit, die sie im Spiegel betrachtet, wird in ihre Seele übertragen und formt sie neu. Das Gedicht suggeriert, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Sinnlichkeit, trotz der anfänglichen Ambivalenz, zu einer tieferen Harmonie und einem erweiterten Selbstverständnis führt.

Hebbel verwendet in diesem Gedicht eine bildreiche Sprache, um die innere Zerrissenheit des Mädchens darzustellen. Die Metaphern des Lichts und der Dunkelheit, des Spiegels und der Spiegelung, unterstreichen die Themen Selbstwahrnehmung und Identität. Das Gedicht bewegt sich zwischen der äußeren Welt des Sonntagskleides und der inneren Welt des Mädchens, die in der Dunkelheit der Nacht und in der Reflexion im Spiegel Gestalt annimmt. Durch diesen Kampf mit sich selbst findet das Mädchen einen Weg der Akzeptanz und des inneren Wachstums.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.