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Das Genie und die Talente

Von

An der höhern Stufe vermißt ihr gewöhnlich die niedre,
Lernt′s doch endlich, sie wird eben mit dieser erkauft.
Daß ein Ganzes werde, muß jeglicher Teil sich bescheiden,
Tritt er einzeln hervor, wuchert er, wie er nur kann,
Und er wird, wo er herrscht, sich freilich stärker erweisen,
Als er tut, wo er dient, aber ein Tor nur vergleicht.
Denkt nur an den Menschen! Ihm gaben alle Geschöpfe
Von dem Ihrigen ab, doch er erreicht auch nicht eins,
Oder hat er die Klaue des Löwen, den Fittich des Vogels?
Selbst das stumpfe Insekt trotzt ihm mit seinem Instinkt.
Dennoch ist er ihr König, und jedes muß sich ihm beugen,
Aber ihm gleicht das Genie, das die Talente vereint.

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Gedicht: Das Genie und die Talente von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Genie und die Talente“ von Friedrich Hebbel entfaltet eine Betrachtung über die Natur von Talenten und Genie, indem es eine Analogie zur Beziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen aufstellt. Es beginnt mit einer Kritik an der Neigung, das Niedrige mit dem Hohen zu vergleichen, und betont, dass der höhere Wert immer mit dem niedrigeren „erkauft“ wird – ein Hinweis auf die Notwendigkeit von Opferbereitschaft und der Akzeptanz von Grenzen für die Erreichung eines umfassenderen Ziels.

Der Kern des Gedichts liegt in der Gegenüberstellung von Einzelbegabungen, den Talenten, und der umfassenden Fähigkeit, dem Genie. Die Talente, als Einzelteile, werden als diejenigen beschrieben, die sich „bescheiden“ müssen, um zum Ganzen beizutragen. Wenn sie jedoch „einzeln hervor treten“, neigen sie zum „Wuchern“ und entwickeln sich in ihrer Spezialisierung besonders stark, was aber nicht bedeutet, dass sie dem Ganzen überlegen sind. Hebbel vergleicht dies mit der menschlichen Existenz, die von anderen Geschöpfen Gaben erhält, aber selbst keine einzelne Fähigkeit vollkommen erreicht. Dies deutet auf die Unzulänglichkeit spezialisierter Fähigkeiten im Vergleich zur umfassenden Natur des Menschen hin.

Das Gedicht verwendet das Bild des Menschen als Beispiel. Dieser hat nicht die physischen Stärken oder Instinkte einzelner Tiere, ist aber dennoch ihr König. Diese Analogie unterstreicht die Idee, dass das Genie, ähnlich dem Menschen, die „Talente vereint“. Das Genie wird hier als ein verbindendes, umfassendes Element dargestellt, das in der Lage ist, die unterschiedlichen Fähigkeiten zu integrieren und zu übersteigen, was darauf hindeutet, dass wahre Größe in der Synthese und nicht in der Einzelkompetenz liegt.

Hebbel schließt mit einer Wertschätzung des Genies, das die Summe der Talente übersteigt. Es ist derjenige, der das Ganze formt und gestaltet, indem es die Einzelteile in einen größeren Kontext einfügt. Das Gedicht ist somit eine Ode an die Synthese, an die Fähigkeit, verschiedene Aspekte zu verbinden, um etwas Neues und Größeres zu schaffen. Die Botschaft ist eine Warnung vor der Beschränktheit reiner Spezialisierung und ein Plädoyer für die umfassende Integration, die das Genie auszeichnet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.