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Stunden

Von

Wasserträgerinnen
Hochgeschürzte Töchter
Schreiten schwer herab die Totenstraße
Auf den Köpfen wiegend
Einen Krug voll Zeit
Eine Ernte ungepflückter Tropfen
Die schon reifen auf dem Weg hinab
Wasserfälle Flüsse Tränen Nebel Dampf
Immer geheimere Tropfen immer kargere Zeit
Schattenträgerinnen
Schon vergangen schon verhangen
Ewigkeit

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Gedicht: Stunden von Yvan Goll

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Stunden“ von Yvan Goll ist eine poetische Reflexion über die Vergänglichkeit der Zeit und das unausweichliche Vergehen des Lebens. In dichten, bildhaften Versen wird die Zeit als eine kostbare, aber stetig zerrinnende Substanz dargestellt, die von Wasserträgerinnen getragen und auf ihrem Weg unaufhaltsam verschüttet wird.

Die Wasserträgerinnen, hochgeschürzte Töchter, schreiten die „Totenstraße“ hinab – ein starkes Bild für den Lauf der Zeit, das an antike Vorstellungen von Schicksalsgöttinnen oder Totengöttinnen erinnert. Sie balancieren „einen Krug voll Zeit“ auf ihren Köpfen, doch diese Zeit ist nicht zu bewahren: Die Tropfen, die sie tragen, sind bereits „reif“ und gehen auf dem Weg verloren. Diese Metaphorik verdeutlicht die Unaufhaltsamkeit der Zeit, die zwischen den Fingern zerrinnt, ohne dass man sie festhalten kann.

Mit zunehmendem Verlauf des Gedichts wird das Wasserbild vielschichtiger: „Wasserfälle, Flüsse, Tränen, Nebel, Dampf“ – all diese Erscheinungen stehen für verschiedene Aggregatzustände der Zeit, die von greifbar (Wasserfälle) bis hin zu fast völlig aufgelöst (Dampf) reichen. Damit wird der Übergang vom Konkreten zum Flüchtigen illustriert, bis die Zeit schließlich immer „geheimer“ und „karger“ wird – ein Hinweis auf das allmähliche Entschwinden von Erlebtem in der Erinnerung oder in die Ewigkeit.

Die Schlusszeilen zeigen die Wasserträgerinnen als „Schattenträgerinnen“ – sie gehören bereits der Vergangenheit an, sind verhangen, vergangen, Teil eines ewigen Kreislaufs. Mit diesem abrupten Ende, das in dem einzigen Wort „Ewigkeit“ kulminiert, wird der unausweichliche Verfall des Augenblicks betont. „Stunden“ ist somit ein meditatives Gedicht über die Zerbrechlichkeit der Zeit, das mit kraftvollen, fließenden Bildern eine melancholische, fast mythische Atmosphäre erschafft.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.