X. Ich hân sî vür alliu wîp
I
Ich hân sî vür alliu wîp
mir ze vrowen und ze liebe erkorn.
minneclîch ist ir der lîp.
seht, durch daz sô hab ich des gesworn,
Daz mir in der welt niht
niemen solde lieber sîn.
swenne aber sî mîn ouge an siht,
seht, sô tagt ez in dem herzen mîn.
II
′Owê des scheidens, daz er tet
von mir, dô er mich vil senende lie.
wol aber mich der lieben bet
und des weinens, daz er dô begie,
Dô er mich trûren lâzen bat
und hiez mich in vröiden sîn.
von sînen trehenen wart ich nat
und erkuolte iedoch daz herze mîn.′
III
Der dur sîne unsaelicheit
iemer arges iht von ir gesage,
dem müeze allez wesen leit,
swaz er minne und daz im wol behage.
Ich vluoche in, unde schadet in niht,
dur die ich ir muoz vrömde sîn.
als aber sî mîn ouge an siht,
sô taget ez in dem herzen mîn.
IV
′Owê, waz wîzent si einem man,
der nie vrowen leit noch arc gesprach
und in aller êren gan?
durch daz müet mich sîn ungemach,
Daz si in sô schône grüezent wal
und zuo ime redende gânt
und in doch als einen bal
mit boesen worten umbe slânt.′
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „X. Ich hân sî vür alliu wîp“ von Heinrich von Morungen ist eine Liebeslyrik, die von der zwiespältigen Natur der Liebe, von Glück und Leid, Sehnsucht und Ablehnung handelt. Das Gedicht wird von dem Minnesänger aus der Perspektive eines liebenden Mannes vorgetragen und ist in vier Strophen unterteilt. Die Strophen I und III beschreiben die Freude und das Glück, die der Liebende durch die Betrachtung seiner Geliebten erfährt, während die Strophen II und IV die Trauer und den Schmerz thematisieren, die durch die Trennung und Ablehnung entstehen.
In der ersten Strophe bekennt der Mann seine Liebe zur auserwählten Frau, die er allen anderen vorzieht. Er schwört, dass ihm niemand auf der Welt lieber sei, und beschreibt die Freude, die er empfindet, wenn er sie ansieht, was sein Herz erhellt. Die zweite Strophe enthält ein Zitat der Frau, die über die Trennung und das daraus resultierende Leid klagt, aber auch die Erleichterung und die Freude, die sie durch die Liebe und das Weinen des Mannes empfindet. Sie wird durch seine Tränen erfrischt und ihr Herz kühlt sich. Der Kontrast zwischen dem Leid des Abschieds und der Freude des Wiedersehens ist hier deutlich spürbar.
Die dritte Strophe ist eine Reaktion auf diejenigen, die schlecht über die Geliebte sprechen und ihr Unglück wünschen. Der Mann verflucht sie und betont, dass er sie liebt, obwohl er durch ihre Abwesenheit Schmerz empfindet. Auch hier wird die Freude der Betrachtung der Geliebten beschworen: „als aber sî mîn ouge an siht, sô taget ez in dem herzen mîn.“ (Wenn aber mein Auge sie erblickt, so tagt es in meinem Herzen). Der Mann verteidigt seine geliebte Frau gegen Verleumdungen, was die Tiefe seiner Liebe und Hingabe unterstreicht.
Die vierte Strophe, erneut als Zitat der Frau gestaltet, drückt die Verwirrung und den Schmerz über das Verhalten anderer Frauen aus, die den Mann zunächst freundlich begrüßen und ihm dann böse Worte entgegenbringen. Dies spiegelt die Unbeständigkeit und Widersprüchlichkeit der Liebe wider, die von Freude zu Leid, von Nähe zu Ablehnung wechseln kann. Das Gedicht zeigt somit die komplexen Emotionen und die Höhen und Tiefen, die mit der Liebe verbunden sind, und verdeutlicht die Hingabe des Mannes an seine Geliebte trotz aller Widrigkeiten.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.