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Wohin so flink, du junges Kind?…

Von

»Wohin so flink, du junges Kind?«
Ich trage Geld ins Städtchen!
»Da weiß ich einen viel nähern Weg,
Den führ′ ich dich, o Mädchen.«

Sie folgt ihm in den dicken Wald;
Hier ist es kühl zu gehen,
Doch dürstet mich, wenn ich nur Wasser hätt′!
»Gleich wirst du Wasser sehen!«

Nun wird′s ja aber grausam wild,
Man kann nicht von der Stelle.
»Da ist auch nur ein Seitenpfad,
Doch bringt er uns zur Quelle.«

Hinauf, hinab und wieder hinauf,
Durch Stein- und Holzgerümpel!
Da kommt ein Abhang jäh und steil,
Und drunten steht ein Tümpel.

»Nun gib dein Geld und schlag das Kreuz,
Denn heute mußt du sterben!«
So laß doch nur das Leben mir!
»Das würde mich selbst verderben!«

»Nun zieh auch deine Kleider aus,
Die brauchst du nicht im Sumpfe.«
Sie legt sie ab, da liegen sie
Schon auf dem Eichenstumpfe.
Denn Leinen ist jetzt teuer!«
Sie ist so bleich wie frischer Schnee,
Nun wird sie rot, wie Feuer.

Doch plötzlich zuckt′s ihr durchs Gesicht,
Da greift sie in die Locken,
Und zieht zwei Ringelein hervor
Mit roten Korallenglocken.

»Für diese Ringe dank′ ich dir,
Die waren mir verloren,
Das lange Haar verhüllt dir ganz
Die kleinen feinen Ohren.

Doch auch das Hemd begehr′ ich noch,
Da hilft kein Schämen und Grämen,
Und wenn du jetzt nicht eilig machst,
So muß ich selbst mir′s nehmen.«

So tu mir denn nur eins zulieb,
Dich etwas umzukehren!
Ich springe auch von selbst hinab,
Hältst du mich so in Ehren.

Er nickt und tut′s und zählt das Geld,
Da kreischen drunten die Raben,
Er bückt sich über den Rand und spricht:
»Was mögen die dort haben!«

Sie blickt sich eben um nach ihm,
Ob er auch Wort gehalten,
Und als sie ihn so stehen sieht,
Da scheint ihr Gott zu walten.

Sie rafft sich auf mit aller Kraft
Und stößt ihn in den Rücken,
Er taumelt hinunter, und nicht einmal
Sein letzter Fluch will glücken!

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Gedicht: Wohin so flink, du junges Kind?... von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wohin so flink, du junges Kind?“ von Friedrich Hebbel erzählt eine düstere Geschichte von Täuschung, Gewalt und Überlebenswillen. Es beginnt mit einer scheinbar harmlosen Frage, die ein Mädchen auf einem Weg zum Markt mit Geld konfrontiert, und entwickelt sich rasch zu einem bedrohlichen Szenario in einem abgelegenen Waldstück. Der Kontrast zwischen der anfänglichen Unschuld und der grausamen Realität, die sich entfaltet, ist ein zentrales Merkmal des Gedichts.

Die sprachliche Gestaltung des Gedichts ist von einer einfachen, fast volkstümlichen Sprache geprägt, die den Erzählton verstärkt. Der Dialog zwischen dem Mädchen und der unbekannten Figur ist unmittelbar und direkt, wodurch die Spannung aufgebaut und die Entwicklung der Bedrohung verdeutlicht wird. Der Wald, in den das Mädchen gelockt wird, dient als Metapher für das Verborgene und Gefährliche. Die bildhafte Sprache verstärkt das Gefühl der Bedrohung: Der „dicker Wald“, die „grausame Wildnis“, der „Abhang jäh und steil“ und der „Tümpel“ schaffen ein unheimliches Ambiente, das das bevorstehende Unheil ankündigt.

Das Gedicht erreicht seinen Höhepunkt in der direkten Konfrontation des Mädchens mit dem geplanten Verbrechen. Der Mann verlangt Geld, fordert das Mädchen auf, sich zu entkleiden und zu sterben. Das Mädchen verhält sich überraschend schlau und kann mit den Ringen ihren Mörder ablenken. Der unerwartete Wendepunkt des Gedichts ist, als das Mädchen ihre letzte Kraft mobilisiert, um sich zu wehren und den Mann in den Abgrund zu stoßen. Die Handlung ist dramatisch und voller unerwarteter Wendungen, wodurch die Geschichte spannend bleibt.

Die Moral des Gedichts ist komplex und vielschichtig. Es zeigt die Gefahren der Naivität und des Vertrauens, sowie die Notwendigkeit, sich in Extremsituationen zu verteidigen. Der Überlebensinstinkt des Mädchens und ihr mutiger Widerstand gegen die Gewalt werden als zentrale Botschaft des Gedichts dargestellt. Hebbel thematisiert hier die dunklen Seiten der menschlichen Natur, die Gewaltbereitschaft und die Fähigkeit zur Selbstverteidigung. Die abschließende Szene, in der das Mädchen ihren Peiniger in den Tod stürzt, unterstreicht das Recht auf Selbstverteidigung, während sie gleichzeitig die Grausamkeit des Geschehens verdeutlicht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.