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Wenn der Vogel singen will

Von

Wenn der Vogel singen will,
Sucht er einen Ast,
Nur die Lerche trägt beim Sang
Eigne, leichte Last.

Doch der Fink, die Nachtigall,
Selbst der muntre Spatz
Wählen, eh′ die Kehle tönt,
Für den Fuß den Platz.

Gebt mir, wo ich stehen soll,
Weist mir das Gebiet,
Und ich will euch wohl erfreun
Noch mit manchem Lied.

Denn in Deutschland weht der Sturm –
Sturm, man weiß, ist Wind – ,
Wähnen, wenn der Ast sie schnellt,
Daß sie flügge sind.

Und hier Landes dunkelt′s tief,
Nacht wie Pech und Harz,
In den Zweigen nächst dem Stamm
Nisten Dohlen schwarz.

Kauz und Eule dämisch dumm
Schaun zum Astloch raus,
Nur der Starmatz schwatzt vom Platz,
Kanzelt für das Haus.

Tiefer unten aber steigt′s
Auf vom Boden dumpf,
Und die Frösche quaken laut
Aus verjährtem Sumpf.

Und so schweb ich ew′gen Flugs
zwischen Erd′ und Luft,
Und kein Platz dem müden Fuß,
Als dereinst die Gruft.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Wenn der Vogel singen will von Franz Grillparzer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wenn der Vogel singen will“ von Franz Grillparzer ist eine Metapher für die Schwierigkeiten des Künstlers in einer politisch und gesellschaftlich instabilen Umgebung. Der Dichter vergleicht sich selbst mit einem Vogel, der nach einem sicheren Platz zum Singen sucht, und zeichnet ein düsteres Bild von Deutschland, in dem es an festem Grund und Orientierung mangelt. Das Gedicht lässt sich in zwei Teile gliedern: die allgemeine Betrachtung des Vogelgesangs und die spezifische, kritische Beschreibung der deutschen Zustände.

Im ersten Teil werden verschiedene Vogelarten und ihre unterschiedlichen Voraussetzungen für den Gesang verglichen. Die Lerche singt aus eigener Kraft, ohne einen festen Halt, während andere Vögel wie der Fink, die Nachtigall und der Spatz einen Ast suchen, bevor sie zu singen beginnen. Der Dichter selbst wünscht sich einen festen Stand, ein „Gebiet“, um seine Kunst entfalten zu können. Dies ist eine klare Aussage über das Bedürfnis nach Sicherheit und Freiheit, um kreativ tätig sein zu können. Die Wahl des „Platzes“ wird zur Voraussetzung für das Gelingen des Gesangs, was die Bedeutung von äußeren Umständen für die innere Entwicklung des Künstlers hervorhebt.

Der zweite Teil des Gedichts wendet sich der konkreten Situation in Deutschland zu. Die Naturbilder werden nun zu Symbolen für die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Der „Sturm“ steht für politische Wirren und die fehlende Stabilität. Die „dunkle Nacht“ symbolisiert eine Zeit der Unklarheit und Unterdrückung. Die „Dohlen schwarz“ und die „Kauz“ stehen für das dunkle, konservative Element. Der Starmatz ist ein Beispiel für die unkritische Rede und das „Quaken“ der Frösche aus dem „Sumpf“ steht für die stagnierende, unaufrichtige Gesellschaft. Das Fehlen eines sicheren Platzes für den Dichter wird durch diese Negativbeispiele veranschaulicht, da es die künstlerische Entfaltung behindert.

Das Gedicht endet mit einem resignierten Ausblick auf ein ungewisses Schicksal. Der Dichter schwebt „zwischen Erd′ und Luft“, unfähig, einen festen Platz zu finden. Nur die „Gruft“ – der Tod – scheint ihm als letzter Ruheort vorbehalten. Dies unterstreicht die Verzweiflung des Künstlers in einer Zeit, in der er keine Heimat findet und die Kunst in Gefahr ist. Grillparzer thematisiert hier die Zerrissenheit des Künstlers zwischen dem Wunsch nach Ausdruck und den widrigen Umständen seiner Zeit. Das Gedicht ist somit nicht nur eine Beschreibung der äußeren Bedingungen, sondern auch eine Reflexion über die Rolle des Künstlers in einer Zeit des Umbruchs.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.