Unser Friede
Ein Sommertag, wo man zu tiefer
Siesta sich verpflichtet hält,
Wo Mücken nur und Ungeziefer
So recht lebendig in der Welt,
Wo gift′ger Pesthauch auf zum Himmel
Aus stehenden Gewässern steigt,
In deren Schlamm sich das Gewimmel
Vielbeinigen Gewürmes zeigt:
Das ist der Friede, der uns schlimmer
Als je ein Krieg zu werden droht,
Der, fiel der Würfel, uns noch immer
Ein offen Feld für Taten bot;
Genüßler hegt jetzt unsre Jugend,
Und Stockgelehrte allenfalls,
Doch jeder Kraft und Männertugend
Brach dieser Friede längst den Hals. –
Doch wird die Sonn′ erst unerträglich
Und dörrt den Wald und sengt die Flur,
Da hilft sich, auf gut sommertäglich,
Mit einem Schlage die Natur:
Die Donnerwolke blitzt und wettert
Und nimmt der Luft den gift′gen Hauch,
Und wird auch mancher Baum zerschmettert,
In faule Sümpfe schlägt es auch.
Welch Friede dann , wenn segenstrahlend
Die Sonn′ im Westen untergeht
Und, dunkle Pupurrosen malend,
Der Himmel wie in Flammen steht!
Wir baden uns im Hauch der Frische,
Wie neugeboren ist das All,
Und in des Baumes Blätternische
Schlägt lieblicher die Nachtigall.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Unser Friede“ von Theodor Fontane ist eine kritische Betrachtung des Friedenszustands, wobei es diesen in einen Vergleich mit einem Krieg setzt. Der Dichter malt zunächst ein trübes Bild des Friedens, das durch die Hitze eines Sommertags und die damit verbundene Trägheit und den Stillstand charakterisiert wird. Dies wird durch Metaphern wie „gift’ger Pesthauch“ und „Schlamm“ der stehenden Gewässer visualisiert, die eine Atmosphäre der Stagnation und des Verfalls erzeugen. Die fehlende Aktivität und das Fehlen von Krieg, der zumindest ein „offen Feld für Taten bot“, werden als nachteilig für die Jugend und die „Männertugend“ dargestellt, da diese durch den Frieden entkräftet werden.
Der zweite Teil des Gedichts bietet einen Wendepunkt. Fontane beschreibt, wie die Natur selbst auf den unerträglichen Frieden reagiert. Die Hitze und Trockenheit des Sommers führen zu einem Gewitter, das reinigend und erfrischend wirkt. Diese Naturgewalt, die zerstörerisch sein kann („wird auch mancher Baum zerschmettert“), dient jedoch letztendlich der Erneuerung. Sie befreit die Luft von dem „gift’gen Hauch“ und bereitet den Weg für eine neue, lebensbejahende Atmosphäre. Hier wird der Krieg, symbolisiert durch das Gewitter, als notwendiges Übel dargestellt, das dazu dient, die stagnierenden Zustände zu beenden.
Der letzte Abschnitt des Gedichts beschreibt die Schönheit, die nach dem Gewitter entsteht. Der „Friede“, der nun herrscht, ist von ganz anderer Qualität. Die Sonne geht unter, der Himmel leuchtet in prächtigen Farben, und die Frische des Abends erfrischt die Welt. Die Natur erwacht zu neuem Leben, was durch die Nachtigall und die „Blätter-Nische“ symbolisiert wird. Dieser erneuerte Frieden ist nicht mehr passiv und trübe, sondern aktiv, dynamisch und von Schönheit geprägt.
Die Botschaft des Gedichts ist subtil, aber deutlich: Ein Zustand des reinen Friedens, ohne Herausforderungen und Konflikte, kann zu Verfall und Trägheit führen. Nur durch die Auseinandersetzung mit widrigen Umständen, wie dem Krieg oder dem Gewitter, kann die Natur – und im übertragenen Sinne auch die menschliche Gesellschaft – sich erneuern und wahre Schönheit und Lebensfreude erfahren. Fontane plädiert also nicht für den Krieg, sondern für die Notwendigkeit von Veränderung und Erneuerung, um das Leben zu bereichern.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.