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Und wieder nun lässt aus dem Dunkeln…

Von

Und wieder nun lässt aus dem Dunkeln
Die Weihnacht ihre Sterne funkeln!
Die Engel im Himmel hört man sich küssen
Und die ganze Welt riecht nach Pfeffernüssen …

So heimlich war es die letzten Wochen,
Die Häuser nach Mehl und Honig rochen,
Die Dächer lagen dick verschneit
Und fern, noch fern schien die schöne Zeit.
Man dachte an sie kaum dann und wann.
Mutter teigte die Kuchen an
Und Vater, dem mehr der Lehnstuhl taugte,
Sass daneben und las und rauchte.
Da plötzlich, eh man sich’s versah,
Mit einem Mal war sie wieder da.

Mitten im Zimmer steht nun der Baum!

Man reibt sich die Augen und glaubt es kaum …
Die Ketten schaukeln, die Lichter wehn,
Herrgott, was giebt’s da nicht alles zu sehn!
Die kleinen Kügelchen und hier
Die niedlichen Krönchen aus Goldpapier!
Und an all den grünen, glitzernden Schnürchen
All die unzähligen, kleinen Figürchen:
Mohren, Schlittschuhläufer und Schwälbchen,
Elephanten und kleine Kälbchen,
Schornsteinfeger und trommelnde Hasen,
Dicke Kerle mit rothen Nasen,
Reiche Hunde und arme Schlucker
Und Alles, Alles aus purem Zucker!

Ein alter Herr mit weissen Bäffchen
Hängt grade unter einem Aeffchen.
Und hier gar schält sich aus seinem Ei
Ein kleiner, geflügelter Nackedei.
Und oben, oben erst in der Krone!!
Da hängt eine wirkliche, gelbe Kanone
Und ein Husarenleutnant mit silbernen Tressen –
Ich glaube wahrhaftig, man kann ihn essen!

In den offenen Mäulerchen ihre Finger,
Stehn um den Tisch die kleinen Dinger,
Und um die Wette mit den Kerzen
Puppern vor Freuden ihre Herzen.
Ihre grossen, blauen Augen leuchten,
Indess die unsern sich leise feuchten.
Wir sind ja leider schon längst »erwachsen«,
Uns dreht sich die Welt um andre Achsen

Und zwar zumeist um unser Büreau.
Ach, nicht wie früher mehr macht uns froh
Aus Zinkblech eine Eisenbahn,
Ein kleines Schweinchen aus Marzipan.
Eine Blechtrompete gefiel uns einst sehr,
Der Reichstag interessiert uns heut mehr;
Auch sind wir verliebt in die Regeldetri
Und spielen natürlich auch Lotterie.
Uns quälen tausend Siebensachen.
Mit einem Wort, um es kurz zu machen,
Wir sind grosse, verständige, vernünftige Leute!

Nur eben heute nicht, heute, heute!

Ueber uns kommt es wie ein Traum,
Ist nicht die Welt heut ein einziger Baum,
An dem Millionen Kerzen schaukeln?
Alte Erinnerungen gaukeln
Aus fernen Zeiten an uns vorüber
Und jede klagt: Hinüber, hinüber!
Und ein altes Lied fällt uns wieder ein:
O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Und wieder nun lässt aus dem Dunkeln... von Arno Holz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Und wieder nun lässt aus dem Dunkeln…“ von Arno Holz beschreibt die Erfahrung der Weihnacht aus der Perspektive des Erwachsenen, der sich in kindliche Erinnerungen flüchtet. Es beginnt mit der festlichen Atmosphäre des Weihnachtsfestes, die durch die funkelnden Sterne, küssenden Engel und den Duft von Pfeffernüssen heraufbeschworen wird. Der Dichter beschreibt, wie die Welt für eine kurze Zeit von der Hektik des Alltags befreit ist und sich in die Besinnlichkeit der Kindheit zurückverwandelt.

Der Mittelteil des Gedichts widmet sich der detaillierten Beschreibung des Weihnachtsbaums, der als Symbol für die kindliche Freude und Unbeschwertheit dient. Holz zählt die unzähligen, bunten Ornamente auf, von kleinen Figürchen aus Zucker über Engel bis hin zu winzigen Kanonen und Husarenleutnants. Die detaillierte Aufzählung der Schmuckstücke unterstreicht die kindliche Faszination für die kleinen Wunder des Festes und die Freude an der bunten Vielfalt.

Der zweite Teil des Gedichts kontrastiert die kindliche Begeisterung mit der Ernüchterung des Erwachsenenalters. Während die Kinder mit leuchtenden Augen um den Tisch stehen und sich an den Festlichkeiten erfreuen, werden die Erwachsenen von den Sorgen des Berufsalltags und der Weltpolitik eingeholt. Die „grossen, verständigen, vernünftigen Leute“ sind nicht mehr von den kleinen Freuden des Lebens beeindruckt, sondern werden von „tausend Siebensachen“ gequält.

Im Schlussvers wird die Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit deutlich. Die Welt verwandelt sich für einen Moment in einen einzigen Weihnachtsbaum, an dem Millionen Kerzen schaukeln. Alte Erinnerungen werden wach und das Lied „O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!“ wird angestimmt. Das Gedicht endet mit der Erkenntnis, dass die wahre Freude im Leben oft in den einfachen, unbeschwerten Momenten der Kindheit zu finden ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.