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Wär‘ ich im Bann vor Mekkas Toren

Von

1.

Eines ist für mich verloren:
Eins beklag‘ ich, eins bedaur‘ ich,
dieses nämlich, daß ich leider
nicht als Türke bin geboren!
Denn vor allem Volk der Erde
sind die Türken hoch zu preisen,
sie allein die wahren Menschen,
die Zufriedenen, die Weisen.

Hol‘ der Teufel unsre Bildung!
Sagt, was bringt es mir für Ehre,
daß ich mühsam mich in Sorgen
um mein Vaterland verzehre?
Daß die Schmerzen des Jahrhunderts
mir in meine Seele schneiden,
und daß mein Glück mir vergällt ist,
weil ich weiß, daß andre leiden?

Seid ihr etwa darum weiser,
weil ihr euch mit Weisheit brüstet?
Sind wir etwa darum freier,
weil nach Freiheit uns gelüstet?
Nein, wir sind sogar noch schlechter,
dieses dünkt mich unbestritten:
Denn am Fleisch zwar sind die Türken,
doch am Geist sind wir beschnitten.

Wohl, wenn ich ein Türke wäre,
dann die Hände auf dem Bauche,
süße Knasterwölkchen saugt‘ ich
aus dem ambraduft’gen Schlauche;
neben mir mit nackten Hüften,
eine Sklavin schürt‘ die Kohlen,
und die andre, die Tscherkessin,
kraute dienstbar mir die Sohlen.

Sanft, mit ausgesprühten Perlen
sollt‘ ein Springquell mich erfrischen,
und in sein melodisch Plätschern
flötend sich die Bulbul mischen:
Während ich, in Gottes Frieden,
eingemachte Feigen nasche,
oder unter meinem Kaftan
küßt‘ ich die verbotne Flasche.

Sollt‘ es aber hin und wieder
mir an Unterhaltung fehlen,
schlummert‘ ich und ließ zum Schlummer
lust’ge Märchen mir erzählen;
oder einen Christen rief ich,
in das Antlitz ihm zu spucken,
und nicht mit den Augenwimpern
dürfte der Giaur mir zucken! –

Kriegt‘ ich selber auch mitunter
ein klein wenig Bastonnade
nun, was wär‘ es, recht besehen,
für ein übermäß’ger Schade?
Hab‘ ich Sklaven nicht und Weiber,
die an ihren zarten Füßen
jeden Streich, den ich empfangen,
hundertfach und drüber büßen?

Und so flössen, klar und eben,
unermüdlich meine Tage,
ohne Wunsch und ohne Sorgen,
ohne Leidenschaft und Klage.
Denn was immer, Gut‘ und Böses,
mir vom Himmel wird beschieden,
weiß ich doch: Allah il Allah!
Und so trag‘ ich es in Frieden.

Stirbt mein Weib, kauf‘ ich ein andres,
das noch süßer weiß zu lachen;
stirbt mein Sohn, wohlan, so werd‘ ich
flugs mir einen neuen machen;
und nun gar die tollen Worte,
welche euch den Frieden stören;
Vaterland und Recht und Freiheit,
diese werd‘ ich gar nicht hören.

2.

Sitz‘ ich dann vor meinem Hause,
munter, wie ein Vollmond glänzend,
neben mir ein holdes Mädchen,
meinen Scherbet mir kredenzend:
Nun, wenn Allah so gewollt hat,
kann es wohl einmal geschehen,
daß der Sultan, Sohn der Sonne,
wird an mir vorübergehn.

Hurtig vor dem Herrn der Erde
in den Staub werd‘ ich mich bücken,
seines Fußes heil’ge Spuren
werd‘ ich küssen voll Entzücken:
Dann vielleicht auf meinem Schmerbauch,
auf den Wangen ohne Runzeln
läßt er dann sein Auge ruhen,
und er spricht zu mir mit Schmunzeln:

„Wie so glatt sind deine Wangen,
und dein Bauch, was der so rund ist!
Daraus seh‘ ich, Knecht der Knechte,
daß dein Beutel sehr gesund ist.
Also gleich von allem sollst du
mir die Hälfte wiedergeben!
Schenken werd‘ ich dir die andre
und zum Vezier dich erheben.“

Also wird der Sultan sprechen;
und mit gnädigem Behagen
(wenn dies nicht zuviel ist) gibt er
einen Tritt mir auf den Magen.
Selig werd‘ ich mich erheben,
meine Schätze flink zu teilen,
dann als Vezier an die goldnen
Stufen seines Thrones eilen.

Fragt ihr nun, wie ich es fürder
als Minister werde treiben?
Nun, versteht sich: als Minister!
Alles wird beim alten bleiben:
Nur die Steuern werden steigen,
nur die Galgen sich vermehren,
um Verweichlichung und Luxus
von den Bürgern abzuwehren.

Tag für Tag, mit ernster Miene,
in dem Divan werd‘ ich sitzen,
alle, die mein Antlitz schauen,
sollen vor Bewundrung schwitzen.
Sollten mal Parteien kommen,
wo ich nicht weiß zu entscheiden:
Hundert Prügel dann diktier‘ ich
salomonisch allen beiden. –

Käme dann vor meine Stufen
ein europamüder Dichter,
so ein Dingelstedt und Herwegh,
oder ähnliches Gelichter,
die mit ihren frechen Liedern,
Freiheitjubel, Freiheitschmerzen,
wahre Drachenzähne streuen
in der Bürger treue Herzen:

Nun, nicht wahr? Ihr meint, ich ließe
ohne weiteres sie säcken?
Weit gefehlt! In meinen Harem
ließ ich diese Burschen stecken,
zu der allerschönsten Sklavin
mit den schwärzsten Augensternen –
und ich wette drauf, sie würden
ihre Poesie verlernen!

Aber will auch das nicht helfen,
wider menschliches Vermuten:
Sei’s darum! In Gottes Namen
singen ließ‘ ich dann die Guten.
Bin ich doch kein deutscher König!
Und so will ich’s ihnen gönnen,
da ich weiß, daß meinen Türken
sie ja doch nicht schaden können.

Übrigens um die Regierung
würd‘ ich mich nur wenig grämen:
Wenn kein Geld im Schatze wäre,
würd‘ ich borgen oder nehmen.
Und wenn etwa der Ägypter
unsre Truppen sollte schlagen –
Gott ist groß! Er wird die Feinde,
wenn es Zeit ist, schon verjagen.

Zwar der Sultan wird mir zürnen,
und dann wird das Schauspiel enden.
Eine Schnur, recht eine hübsche
seidne Schnur wird er mir senden –
Wohl zu merken: Ein Verfahren,
das man auch Europas Kronen
ernst und dringend soll empfehlen;
denn es spart die Pensionen –

Doch mit der gewohnten Demut
seinen Willen würd‘ ich ehren,
ließ‘ den Bart noch einmal salben,
einmal noch den Schopf mir scheren:
Dann die allerliebste Schlinge
um die fette Kehle knüpft‘ ich –
ein Moment! Und ohne weitres
in den Garten Gottes schlüpft‘ ich.

Ha, was dort für eine Pracht ist!
Was für Essen, was für Trinken!
Die uns der Prophet verheißen,
süße Huris seh‘ ich winken –
O verdammt, daß ich als Deutscher,
nicht als Türke bin geboren!
Denn so geht zusamt der Erde
auch der Himmel mir verloren.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Wär‘ ich im Bann vor Mekkas Toren von Robert Eduard Prutz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wär’ ich im Bann vor Mekkas Toren“ von Robert Eduard Prutz ist eine satirisch überspitzte Gesellschaftskritik, die sich sowohl gegen die politische und geistige Misere im Deutschland des 19. Jahrhunderts richtet als auch gegen die autoritären Strukturen des Osmanischen Reiches. In einem fiktiven Lob auf das „Türkentum“ entfaltet der Sprecher eine bissige Parodie auf geistige Trägheit, Untertanenmentalität und politische Willkür – mit dem Ziel, durch Übertreibung auf die eigenen gesellschaftlichen Missstände aufmerksam zu machen.

Der erste Teil des Gedichts zeichnet ein bewusst klischeehaftes Bild vom Leben eines osmanischen Untertanen: rauchend, liegend, bedient von Sklavinnen, fern jeder geistigen Anstrengung. Der Redner kontrastiert dies mit seiner eigenen Lage als gebildeter, politisch mitfühlender Deutscher, der unter dem Leid der Zeit und dem Gefühl kollektiver Ohnmacht leidet. Daraus entsteht eine zynische Sehnsucht nach einer Existenz ohne Verantwortung, ohne Freiheitspathos, ohne „Schmerzen des Jahrhunderts“. Der satirische Ton entlarvt dabei nicht die Türken, sondern die eigene Gesellschaft, die zwar von Freiheit redet, aber unfähig scheint, sie zu verwirklichen.

Im zweiten Teil weitet sich die Satire auf das Regierungssystem aus. Der Sprecher fantasiert sich in die Rolle eines osmanischen Ministers, der durch Unterwürfigkeit aufsteigt, dabei jedoch alles beim Alten lässt: Korruption, Prügelstrafen, Willkür. Auch der Umgang mit Dichtern – einerseits verspottet, andererseits verführt – ist eine beißende Allegorie auf die Vereinnahmung kritischer Stimmen. Besonders spöttisch ist der Seitenhieb auf die deutsche Monarchie, die nicht einmal die „Liberalität“ eines orientalischen Despoten besitze, einen Dichter einfach weitersingen zu lassen, solange seine Worte folgenlos bleiben.

Trotz aller Komik trägt das Gedicht eine ernste Botschaft. Die letzte Strophe, in der der Sprecher als Muslim sogar einen prächtigen Himmel empfängt, betont den Verlust sowohl weltlicher als auch geistiger Erfüllung in seiner deutschen Realität. Die Pointe liegt in der letzten Zeile: „Denn so geht zusamt der Erde / auch der Himmel mir verloren.“ Hier kulminiert der Spott in einer tiefen Melancholie über den Zustand einer Gesellschaft, in der Bildung, Freiheitsdrang und Fortschrittswille nicht zu Glück, sondern zu Frustration führen.

„Wär’ ich im Bann vor Mekkas Toren“ ist damit ein Beispiel für die politische Dichtung des Vormärz, die mit Ironie und Überzeichnung die politischen und sozialen Widersprüche ihrer Zeit beleuchtet. Prutz gelingt es, durch die Maske der Satire nicht nur Missstände bloßzustellen, sondern auch das Selbstverständnis des intellektuellen, aber ohnmächtigen Bürgertums kritisch zu hinterfragen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.