Rettung
Mein Mädchen ward mir ungetreu,
Das machte mich zum Freudenhasser;
Da lief ich an ein fließend Wasser,
Das Wasser lief vor mir vorbei.
Da stand ich nun, verzweiflend, stumm;
Im Kopfe war mir′s wie betrunken,
Fast wär ich in den Strom gesunken,
Es ging die Welt mit mir herum.
Auf einmal hört ich was, das rief;
Ich wandte just dahin den Rücken;
Es war ein Stimmchen zum Entzücken:
„Nimm dich in Acht! der Fluß ist tief.“
Da lief mir was durch′s ganze Blut,
Ich seh′, so ist′s ein liebes Mädchen;
Ich fragte sie: „Wie heißt du?“ – „Käthchen!“
„O schönes Käthchen! Du bist gut.
Du hältst vom Tode mich zurück,
Auf immer dank′ ich dir mein Leben;
Allein das heißt mir wenig geben,
Nun sei auch meines Lebens Glück!“
Und dann klagt′ ich ihr meine Not,
Sie schlug die Augen lieblich nieder;
Ich küßte sie und sie mich wieder,
Und – vor der Hand Nichts mehr von Tod!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Rettung“ von Johann Wolfgang von Goethe beschreibt in einfachen, aber wirkungsvollen Versen einen Suizidversuch und die darauffolgende Wendung zum Leben durch die Begegnung mit einem neuen Mädchen. Es beginnt mit dem Schmerz der verlorenen Liebe, der den Protagonisten dazu treibt, sein Leben zu beenden. Das fließende Wasser, das er als Ort der Verzweiflung wählt, wird zum passiven Zeugen seines Leids, da es unaufhaltsam an ihm vorüberströmt.
Die innere Zerrissenheit des Protagonisten, seine Verzweiflung und das Gefühl der Orientierungslosigkeit werden durch die Metaphern „im Kopfe war mir’s wie betrunken“ und „Es ging die Welt mit mir herum“ ausdrucksstark vermittelt. Kurz vor dem Untergang erfährt er durch die Stimme eines unbekannten Mädchens, Käthchen, eine unerwartete Rettung. Dieser Moment der rettenden Ansprache stellt den Wendepunkt dar, die Rückbesinnung auf das Leben. Das Mädchen, das ihn vor dem Tod bewahrt, wird zur Hoffnungsträgerin.
Die zweite Hälfte des Gedichts ist von Dankbarkeit und neuem Lebensmut geprägt. Der Protagonist dankt Käthchen für ihre Rettung und sieht in ihr nicht nur eine Retterin, sondern auch die Chance auf neues Glück. Die Erwähnung des Kusses und die Aussage „- vor der Hand Nichts mehr von Tod!“ deutet auf die Überwindung der Todessehnsucht und den Beginn einer neuen, hoffnungsvollen Beziehung. Das Gedicht symbolisiert somit die Kraft der Liebe und der menschlichen Verbindung, die in der Lage ist, selbst in tiefster Verzweiflung einen Ausweg zu finden.
Goethe verwendet eine einfache, eingängige Sprache, die die Emotionen des Protagonisten unmittelbar erfahrbar macht. Die Reime und der fließende Rhythmus verstärken die Eindringlichkeit der Botschaft. Das Gedicht ist ein Zeugnis der menschlichen Fähigkeit, sich von negativen Emotionen zu befreien und durch die Begegnung mit anderen Menschen neuen Lebensmut zu schöpfen. Es ist ein Plädoyer für das Leben und die Hoffnung, die in scheinbar aussichtslosen Situationen aufscheinen kann.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.