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Philine

Von

Singet nicht in Trauertönen
Von der Einsamkeit der Nacht!
Nein, sie ist, o holde Schönen,
Zur Geselligkeit gemacht.

Wie das Weib dem Mann gegeben
Als die schönste Hälfte war,
Ist die Nacht das halbe Leben,
Und die schönste Hälfte zwar.

Könnt ihr euch des Tages freuen,
Der nur Freuden unterbricht?
Er ist gut, sich zu zerstreuen;
Zu was anderm taugt er nicht.

Aber wenn in nächt′ger Stunde
Süßer Lampe Dämmrung fließt,
Und vom Mund zum nahen Munde
Scherz und Liebe sich ergießt;

Wenn der rasche lose Knabe,
Der sonst wild und feurig eilt,
Oft bei einer kleinen Gabe
Unter leichten Spielen weilt;

Wenn die Nachtigall Verliebten
Liebevoll ein Liedchen singt,
Das Gefangnen und Betrübten
Nur wie Ach und Wehe klingt:

Mit wie leichtem Herzensregen
Horchet ihr der Glocke nicht,
Die mit zwölf bedächt′gen Schlägen
Ruh′ und Sicherheit verspricht!

Darum an dem langen Tage
Merke dir es, liebe Brust:
Jeder Tag hat seine Plage,
Und die Nacht hat ihre Lust.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Philine von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Philine“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine Ode an die Nacht und eine Abkehr von der Wertschätzung des Tages. Es feiert die Nacht als Zeit der Geselligkeit, der Liebe und der Freuden, im Gegensatz zum Tag, der lediglich als Zeit der Zerstreuung und Unterbrechung der wahren Freuden betrachtet wird. Die Ansprache an „holde Schönen“ deutet auf ein Publikum hin, das die Werte des Gedichts teilt oder zumindest dazu eingeladen wird, dies zu tun.

Goethe verwendet eine Reihe von rhetorischen Fragen und Bildern, um die Vorzüge der Nacht darzustellen. Er vergleicht die Nacht mit der „schönsten Hälfte“ des Lebens, ebenso wie das Weib dem Mann als die schönste Hälfte gegeben ist. Die Nacht wird somit zu einer Zeit der tiefen Verbindungen und intensiven Erfahrungen, in der sich Liebe und Scherz frei entfalten können. Die Erwähnung des „raschen losen Knaben“, der in der Nacht zur Ruhe kommt und sich spielerischen Freuden hingibt, unterstreicht die Verwandlung und die Befreiung, die die Nacht mit sich bringt. Die Nachtigall, Symbol der Liebe und der Sehnsucht, liefert den musikalischen Hintergrund für die Liebesfreuden.

Der Tag wird hingegen als wenig wertvoll dargestellt, als eine Zeit, die lediglich dazu dient, sich zu zerstreuen. Die „Freuden“ des Tages werden herabgesetzt, indem sie als etwas beschrieben werden, das „unterbricht“. Die Metapher der Glocke, die „Ruh′ und Sicherheit verspricht“, aber von den Liebenden ignoriert wird, verdeutlicht die Ablehnung des Tages und seiner Begrenzungen. Die letzte Strophe fasst die Kernaussage des Gedichts zusammen: Jeder Tag hat seine Plage, aber die Nacht hat ihre Lust.

Die Sprache des Gedichts ist leicht und fließend, mit einer klaren Reimstruktur, die die Botschaft zugänglich macht. Die Bilder sind sinnlich und laden den Leser ein, die Nacht als Zeit der Freude und des Genusses zu erleben. Goethe wendet sich gegen die konventionelle Wertschätzung des Tages und plädiert für eine Wertschätzung der Nacht, als einer Zeit der tieferen, erfüllenderen Erfahrungen. Das Gedicht ist somit eine Feier des Lebens in all seinen Facetten, wobei die Nacht als die Zeit der intensiven Erlebnisse hervorgehoben wird.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.