Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , ,

Passionslied

Von

O Haupt voll Blut und Wunden,
Voll Schmerz und voller Hohn,
O Haupt, zu Spott gebunden
Mit einer Dornenkron!
O Haupt, sonst schön gezieret
Mit höchster Ehr und Zier,
Jetzt aber hoch schimpfieret,
Gegrüßet seist du mir!

Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte,
Wie bist du so bespeit,
Wie bist du so erbleichet,
Wer hat dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht?

Die Farbe deiner Wangen,
Der roten Lippen Pracht
Ist hin und ganz vergangen,
Des blassen Todes Macht
Hat alles hingenommen,
Hat alles hingerafft,
Und daher bist du kommen
Von deines Leibes Kraft.

Nun, was du, Herr, erduldet,
Ist alles meine Last,
Ich hab es selbst verschuldet,
Was du getragen hast!
Schau her, hier steh ich Armer,
Der Zorn verdienet hat,
Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad.

Erkenne mich, mein Hüter;
Mein Hirte, nimm mich an!
Von dir, Quell aller Güter,
Ist mir viel Guts getan.
Dein Mund hat mich gelabet
Mit Milch und süßer Kost;
Dein Geist hat mich begabet
Mit mancher Himmelslust.

Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wann dir dein Herze bricht.
Wann dein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich fassen
In meinen Arm und Schoß.

Es dient zu meinen Freuden
Und kommt mir herzlich wohl,
Wenn ich in deinem Leiden,
Mein Heil, mich finden soll.
Ach, möcht ich, o mein Leben,
An deinem Kreuze hier
Mein Leben von mir geben,
Wie wohl geschähe mir!

Ich danke dir von Herzen,
O Jesu, liebster Freund,
Für deines Todes Schmerzen,
Da du’s so gut gemeint.
Ach gib, daß ich mich halte
Zu dir und deiner Treu
Und, wenn ich nun erkalte,
In dir mein Ende sei.

Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt du dann herfür.
Wenn mir am allerbängsten
Wird um das Herze sein,
So reiß mich aus den Ängsten
Kraft deiner Angst und Pein.

Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod
Und laß mich sehn dein Bilde
In deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
Da will ich glaubensvoll
Dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Passionslied von Paul Gerhardt

Kurze Interpretation des Gedichts

Das „Passionslied“ von Paul Gerhardt ist eine tief bewegende Meditation über das Leiden Christi und zugleich ein Ausdruck der persönlichen Hingabe und des Vertrauens auf seine Erlösungstat. Die erste Strophe zeichnet das Bild des geschundenen Hauptes Jesu, das einst voller Ehre war, nun aber von Blut, Wunden und Spott gezeichnet ist. Das lyrische Ich begegnet dieser Gestalt nicht mit Abscheu, sondern mit Ehrfurcht und Mitgefühl.

Besonders eindrücklich ist die Darstellung der Entstellung Christi: Sein edles Angesicht, vor dem die Welt einst erzitterte, ist nun bespien und erbleicht. Die lebendige Farbe seiner Wangen und Lippen ist der Macht des Todes gewichen. Diese körperliche Zerstörung wird nicht als zufällig oder sinnlos beschrieben, sondern als bewusste Opfergabe – eine Last, die Christus für die Menschheit trägt. Das lyrische Ich erkennt seine eigene Schuld an diesem Leiden und bittet darum, in der göttlichen Gnade Aufnahme zu finden.

Diese Bitte geht über reines Mitleid hinaus: Das Ich sucht in Christi Leiden seine eigene Rettung. Es drückt den Wunsch aus, in seinem Sterben nahe bei Jesus zu sein, ja sogar mit ihm zu sterben, um sich ganz mit seinem Heilswerk zu verbinden. Die innige Beziehung zu Christus wird in der Bitte um Beistand im eigenen Sterben besonders deutlich. Wenn die letzte Stunde kommt, soll Christus als Trost erscheinen und das Ich aus Todesangst erlösen – so wie sein eigenes Leiden zur Rettung der Menschheit wurde.

Das Gedicht endet mit einer tiefen Hoffnung: Wer Christus im Glauben und in seiner Passion festhält, wird im Tod nicht verlassen sein. Der letzte Vers „„Wer so stirbt, der stirbt wohl““ fasst die ganze Theologie des Liedes zusammen: Derjenige, der in Christus stirbt, geht nicht ins Verderben, sondern ins Heil ein. Gerhardts „Passionslied“ verbindet damit Trauer und Trost, Buße und Erlösung in einer eindrucksvollen dichterischen Reflexion über das Leiden und Sterben Jesu Christi.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.