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Morgane

Von

Am regentrüben Sommertagen,
Wenn Luft und Flut zusammenragen,
Und ohne Regung schläft die See,
Dann steht an unserm grauen Strande
Das Wunder aus dem Morgenlande,
Morgane, die berufne Fee.

Arglistig halb und halb von Sinne,
Verschmachtend nach dem Kelch der Minne,
Der stets an ihrem mund versiegt,
Umgaukelt sie des Wandrers Pfade,
Und lockt ihn an ein Scheingestande,
Das in des Todes Reichen liegt.

Von ihrem Zauberspiegel geblendet,
Ruht manches Haupt in Nacht gewendet,
Begraben in der Wüste Schlucht;
Denn ihre Liebe ist Verderben,
Ihr Hauch ist Gift, ihr Kuß ist Sterben,
Die schönen Augen sind verflucht.

So steht sie jetzt im hohen Norden
An unsres Meeres dunklen Borden,
So schreibt sie fingernd in den Dunst;
Und quellend aus den luft′gen Spuren
Erstehn in dämmernden Konturen
Die Bilder ihrer argen Kunst.

Doch hebt sie sich nicht wie dort im Süden
Auf rostigen Karyatiden
Ein Wundermärchenschloß ins Blau;
Nur einer Hauberg graues Bildnis
Schwimmt einsam in der Nebelwildnis,
Und keinen lockt der Hexenbau.

Bald wechselt sie die dunkle Küste
Mit Libyens sonnengelber Wüste
Und mit der Tropenwälder Duft;
Dann bläst sie lachend durch die Hände,
Dann schwankt das Haus, und Fach und Wände
Verrinnen quirlend in die Luft.

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Gedicht: Morgane von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Morgane“ von Theodor Storm beschreibt in fünf Strophen die Figur einer Meerfee, die als Verkörperung von Täuschung, Verführung und Tod dargestellt wird. Die Interpretation konzentriert sich auf die allegorische Bedeutung von Morgane und die düstere Atmosphäre, die durch die Bildsprache erzeugt wird. Das Gedicht zeichnet ein Bild von Schönheit, die trügerisch und zerstörerisch ist.

Die ersten drei Strophen etablieren die Figur von Morgane und ihre zerstörerische Natur. Sie erscheint an einem regnerischen Sommertag an der Küste und wird als „Wunder aus dem Morgenlande“ bezeichnet. Ihre Arglist und ihre Sehnsucht nach Liebe, die unerfüllt bleibt, prägen ihr Wesen. Sie lockt Wanderer in den Tod, wobei ihre Liebe „Verderben“, ihr Hauch „Gift“ und ihr Kuss „Sterben“ bedeutet. Die Verwendung von Begriffen wie „Arglistig“, „Scheingestande“ und „Todes Reichen“ unterstreicht die Gefahr, die von Morgane ausgeht. Die Beschreibung ihres Aussehens – „die schönen Augen sind verflucht“ – deutet auf eine betörende Schönheit hin, die gleichzeitig verflucht ist und Unheil bringt.

In den folgenden zwei Strophen wird Morganes Wirkung im Norden und ihre Fähigkeit, sich zu verändern, thematisiert. Im Norden manifestiert sie sich in „dämmernden Konturen“, ohne jedoch die Pracht eines Märchenschlosses hervorzubringen. Stattdessen erscheint ein graues Bildnis, das niemanden lockt. Diese Beschreibung suggeriert einen Wandel in Morganes Macht, eine Abnahme ihrer Verführungskraft im rauen Norden. Die letzte Strophe deutet an, dass Morgane sich auch in anderen Regionen wie der Wüste und den Tropenwäldern manifestiert, wobei sie ihre Umgebung in Bewegung setzt, bis alles in Auflösung übergeht.

Das Gedicht ist reich an Symbolen und Metaphern. Morgane selbst steht für die verführerische Kraft, die Menschen in den Abgrund zieht. Die „Luft und Flut“, die „zusammenragen“, erzeugen eine verschwommene, unbestimmte Umgebung, die die Atmosphäre der Verwirrung und Täuschung verstärkt. Das „Scheingestande“ ist ein Ort des Todes, der durch Morganes Täuschung geschaffen wird. Die Bilder, die sie in den Dunst schreibt, sind „ihrer argen Kunst“, was ihre manipulative Natur weiter hervorhebt. Das Gedicht ist ein mahnender Hinweis auf die Gefahren falscher Schönheit und die zerstörerische Kraft der Täuschung.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.