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Metamorphosen

Von

Erst war grenzenloser Durst, ausholend Glück, schamvolles Sichbeschauen,

Abends in der Jungenstube, wenn die Lampe ausgieng, Zärtlichkeiten überschwänglich hingeströmt an traumerschaffne Frauen,

Verzückte Worte ins Leere gesprochen und im Blut der irre Brand –

Bis man sich eines Nachts in einem schalen Zimmer wiederfand,

Stöhnend, dumpf, und seine Sehnsucht über einen trüben, eingesunknen Körper leerte,

Sich auf die Zähne biß und wußte: dieses sei das Leben, dem man sich bekehrte.

Ein ganzer blondverklärter Knabenhimmel stand in Flammen –

Damals stürzte Göttliches zusammen . .

Aber Seele hüllte gütig enge Kammer, welken Leib und Scham und Ekel ein,

Und niemals wieder war Liebe so sanft, demütig und rein,

So voller Musik wie da . . .

Dann sind Jahre hingegangen und haben ihren Zoll gezahlt.

Aus ihrem Fluß manch’ eine Liebesstunde wie eine Mondwelle aufstrahlt.

Aber Wunder wich zurück, wie schöne hohe Kirchen Sommers vor der Dämmerung in die Schatten weichen.

Eine Goldspur wehte übern Abendhimmel hin: nichts konnte sie erreichen.

Seele blieb verlassen, Sehnsucht kam mit leeren Armen heim, so oft ich sie hinausgeschickt,

Wenn ich im Dunkel nach Erfüllung rang, in Hauch und Haar geliebter Frau’n verstrickt.

Denn immer griffen meine Hände nach dem fernen bunten Ding,

Das einmal über meinem Knabenhimmel hieng.

Und immer rief mein Kiel nach Sturm – doch jeder Sturm hat mich ans Land geschwemmt,

Sterne brachen, und die Flut zerfiel, in Schlick und Sand verschlämmt . . .

Daran mußt’ ich heute denken, und es fiel mir ein,

Daß alles das umsonst, und daß es anders müsse sein,

Und daß vielleicht die Liebe nichts als schweigen,

Mit einer Frau am Meeresufer stehn und durch die Dünen horchen, wie von fern die Wasser steigen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Metamorphosen von Ernst Stadler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Metamorphosen“ von Ernst Stadler zeichnet den Verlauf einer tiefgreifenden seelischen Entwicklung, die durch verschiedene Phasen von Leidenschaft, Ernüchterung und schließlich zu einer neuen, stilleren Form der Liebe führt. Es beschreibt den Wandel von einem jugendlichen, stürmischen Begehren zu einer reiferen, möglicherweise unerfüllten Sehnsucht nach Frieden und Stille. Der Titel deutet auf eine Verwandlung hin, die sich im Laufe des Gedichts vollzieht.

Die erste Phase ist geprägt von grenzenlosem Durst, Überschwänglichkeit und dem Rausch der Liebe. Diese Zeit wird durch Bilder der „Jungenstube“, „Zärtlichkeiten“ und „verrückten Brand“ im Blut dargestellt. Es ist eine Zeit der Illusionen und des ungezügelten Begehrens, die jedoch in einer Nacht der Ernüchterung abrupt endet, in der der Protagonist in einem „schalen Zimmer“ erwacht und die Realität der unerfüllten Sehnsucht erkennt. Das Gedicht impliziert hier den Verlust von Unschuld und die schmerzhafte Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit. Der „blondverklärte Knabenhimmel“ steht in Flammen, ein starkes Bild des Zusammenbruchs jugendlicher Ideale.

In der folgenden Phase erfährt die Seele eine Art Heilung, indem sie „welken Leib und Scham und Ekel“ umschließt. Die Liebe erscheint nun „so sanft, demütig und rein“, eine Erinnerung an eine unbefleckte Form der Liebe. Im Laufe der Jahre jedoch verblassen diese intensiven Gefühle, vergleichbar mit Kirchen, die im Schatten verschwinden. Die Sehnsucht wird zu einer konstanten Begleiterin, die vergeblich nach Erfüllung sucht. Der Protagonist wird von einer unstillbaren Sehnsucht nach dem „fernen bunten Ding“ getrieben, nach einer idealisierten Form der Liebe, die er jedoch nie erreicht.

Das Gedicht endet mit einer Reflexion über die Sinnlosigkeit dieses Kreislaufs aus Verlangen und Enttäuschung. Die Zeilen, „Daß alles das umsonst, und daß es anders müsse sein“, drücken die Sehnsucht nach einem Wandel aus. Die Vorstellung einer neuen Form der Liebe, die im Schweigen und in der Kontemplation an einem Meeresufer gefunden werden kann, deutet auf eine innere Einkehr und die Suche nach einer stilleren, erfüllteren Existenz hin. Die Metamorphose des Protagonisten führt ihn weg von dem stürmischen Rausch der Jugend zu einer Suche nach innerer Ruhe und dem Einklang mit der Natur.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.