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Die alte Jungfer

Von

Niemand zu Liebe, niemand zu Last,
ist sie erloschen und verblaßt.

In ihrem Stübchen sann sie und sann,
Bis ihr einsames Leben darüber verrann.

Keiner hat nach ihr die Hand ausgestreckt
Und die flügelgebundene Seele erweckt.

Keiner hat in der Sommernacht
Zu seligem Weinen sie gebracht.

Und doch flogen Locken auch ihr ums Gesicht,
Und ihre Augen glänzten jung und licht.

Und doch schlug auch ihr in verschwiegener Brust
Die Sehnsucht nach Sonne und Frühlingslust.

Niemand zu Liebe, niemand zu Last,
ist sie erloschen und verblaßt.

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Gedicht: Die alte Jungfer von Maria Janitschek

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die alte Jungfer“ von Maria Janitschek ist eine leise, eindrückliche Elegie auf ein verpasstes Leben, das von gesellschaftlicher Isolation, ungelebter Liebe und stiller Sehnsucht geprägt ist. In knappen, klaren Versen schildert das lyrische Ich das Schicksal einer Frau, die ohne Nähe, ohne Partnerschaft und ohne je geliebt zu haben, in Einsamkeit verblasst ist.

Gleich der Anfangsvers „Niemand zu Liebe, niemand zu Last“ bringt das tragische Paradox dieser Existenz auf den Punkt: Ein Leben, das weder jemandem Freude noch jemandem Mühe bereitet hat – das vollkommen spurlos, gleichsam unsichtbar verlief. Dieses Motiv zieht sich durch das ganze Gedicht und wird durch die Wiederholung der Eingangsstrophe am Ende besonders eindringlich betont.

Trotz ihrer Unauffälligkeit wird die Protagonistin nicht als kalt oder gefühllos dargestellt. Im Gegenteil: Ihre „flügelgebundene Seele“, ihre jugendlichen Augen und die „versteckte Sehnsucht“ zeigen, dass auch sie einst das Verlangen nach Liebe, Nähe und Erfüllung in sich trug. Diese inneren Regungen blieben jedoch unentdeckt und unerwidert – nicht, weil sie weniger wert oder unfähig zur Liebe war, sondern weil ihr niemand „die Hand ausgestreckt“ hat.

Das Gedicht kritisiert damit leise, aber deutlich die gesellschaftlichen Umstände, in denen Frauen wie diese „alte Jungfer“ leben mussten: Als unauffällige, ungewollte Randfiguren, denen weder individuelle Erfüllung noch soziale Anerkennung zuteil wurde. Ihre Lebensgeschichte bleibt unausgesprochen, still, fast beiläufig – genau das macht die Tragik umso schmerzlicher.

Mit feiner, melancholischer Sprache gelingt Janitschek ein poetisches Porträt weiblicher Vereinsamung, das nicht anklagt, sondern tiefes Mitgefühl ausdrückt. Die Figur der alten Jungfer wird nicht verspottet, sondern mit stiller Würde gezeichnet – als Sinnbild für ein unausgesprochenes, ungehörtes Frauenleben im Schatten gesellschaftlicher Erwartungen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.