März-Nachmittag
Bleiweiß die Fläche, Wolken-überflaggt,
darein zwei Segel schwarze Furchen graben.
Zwei Uferbäume ragen hochgezackt,
die frühes Traumgrün auf den Zweigen haben.
Zwei Hunde keuchen übers Ufergras
und wollen eine heiße Stunde jagen.
Zwei Schüler kommen, schlank und bücherblaß,
die scheue Liebe wie zwei Leuchter tragen.
Ein junger Dichter wacht auf einer Bank
und spricht, die Hände um sein Knie gefaltet:
“Wie sind die Dinge heute sehnsuchtskrank!”
Und als er aufblickt, hat sich neu gestaltet
die Welt und ist erschütternd tränenblank.
“Was” ruft er “hat mein Herz denn so zerspaltet!”
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „März-Nachmittag“ von Ernst Wilhelm Lotz beschreibt eine Szene an einem Frühlingsnachmittag, die von einer melancholischen Stimmung geprägt ist. Die Verwendung des Wortes „zwei“ in den ersten beiden Strophen, in Verbindung mit der farblichen Beschreibung, deutet auf eine Zweiteilung oder eine Dualität hin, die sich durch das gesamte Gedicht zieht. Das „Bleiweiß“ des Himmels und die „schwarzen Furchen“ der Segel schaffen ein Kontrast, der die Harmonie der Natur stört und die Sehnsucht nach etwas Unbestimmtem verstärkt. Die jungen Bäume mit ihrem „frühen Traumgrün“ weisen auf einen Aufbruch und eine neue Hoffnung hin, die jedoch durch die melancholischen Elemente der Szene getrübt wird.
Die zweite Strophe führt weitere Elemente ein, die die Grundstimmung des Gedichts verstärken. Die keuchenden Hunde, die scheinbar „eine heiße Stunde jagen“, und die „schlanken und bücherblaßen“ Schüler, die „die scheue Liebe wie zwei Leuchter tragen“, spiegeln eine Mischung aus Aktivität und Melancholie wider. Die Schüler, die die Liebe „tragen“, deuten auf ein Gefühl der Unsicherheit und Verletzlichkeit hin, das mit der Liebe verbunden ist. Die Metapher der Leuchter impliziert sowohl Erleuchtung als auch die Möglichkeit, auszugehen, was die Fragilität der Hoffnung unterstreicht.
Die dritte Strophe konzentriert sich auf die Figur des jungen Dichters, der auf einer Bank sitzt und seine Sehnsucht ausspricht. Seine gefalteten Hände und die Aussage „Wie sind die Dinge heute sehnsuchtskrank!“ zeigen eine tiefe innere Zerrissenheit und ein Gefühl der Verlorenheit. Der Dichter dient als Sprachrohr für die melancholische Stimmung des Gedichts und personifiziert die Empfindung der Sehnsucht nach etwas, das unerreichbar scheint.
Die letzte Strophe führt eine überraschende Wendung ein. Als der Dichter aufblickt, „hat sich neu gestaltet / die Welt und ist erschütternd tränenblank.“ Der Wechsel der Szenerie, die nun „erschütternd tränenblank“ ist, unterstreicht die emotionale Intensität und die innere Zerrissenheit des Dichters. Die Frage „Was hat mein Herz denn so zerspaltet!“, die er am Ende stellt, verdeutlicht das zentrale Thema des Gedichts: das Gefühl der Sehnsucht, die Unfähigkeit, die Welt und die eigenen Gefühle zu verstehen und die damit verbundene Trauer und Verzweiflung. Das Gedicht beschreibt somit auf eindringliche Weise die flüchtige Schönheit des Frühlings, durch die Augen eines sensiblen Menschen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.