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Lieder des Römischen Carnevals – Sechstes Lied

Von

Unter Spiel und Scherz und Possen
Ist die Nacht herangekommen,
Doch im sanften Sternenscheine
Läßt es sich nur besser schäkern,
Und gespensterhafte Schalkheit
Lacht und spukt durch alle Gassen.
Erst wenn Phöbus sich entfernt,
Wagt sich Momus aus dem Hause.

Gib die Hand mir, Kind der Liebe,
Sind wir endlich doch alleine!
Laß uns schnell nach Hause wandeln,
Nimm dir vom Gesicht die Maske;
Denn der Nacht, warum nicht könntest,
Wer du bist, ihr anvertrauen?
Schnell die Maske weg, und dann
Wieder auf die vollen Straßen!

Folge mir, an allen Ecken
Hörst du jetzt den Pulcinella
Mit der Narrenglocke läuten,
Manche Mandoline klimpert
Unter dem erhellten Fenster!
Gehn wir eilig! denn mich locket
Jener schwarzen Osterie
Alterthümliches Gewölbe.

Willst du fröhlich sein, so trinke
Abends deinen vollen Becher
Süßen Frascatanerweines,
Und ein Liebchen dir zur Seite
Kränz′ ihn dir mit seinen Rosen.
Ohne Wein und ohne Liebchen
Sieht man sich das tolle Volk
Nur mit Neid des Lebens freuen.

Lauschen wir dem wilden Dichter,
Der im Kreis gedrängter Masken
Hier mit Liedern aus dem Stegreif
Seine Hörerschaft begeistert,
Wie das lust′ge blonde Bübchen,
Schon Hanswurst dort auf dem Tische,
Dem besess′nen Sänger lauscht
Und mit seinen Händen klatschet.

Doch auch hier will sich die wilde
Römerin nicht lang gedulden,
Ob wir ins Theater eilen,
Ob wir eine Oper hören,
Ob uns das Ballet vergnüge,
Oder ob uns der Taddei
Seltne Kunst belustige,
Oder gar Cassandro′s Puppe?

Doch zum Maskenballe leitet
Mich der artige Schalk; ich folge!
Keine Beatrice führt mich,
Aber eine Bajadere!
Nein, wer konnte sie verschmähen!
Tausend Frauen sah ich heute
Schon verschleiert, aber doch
Keine einzige Bestale.

Und des heitern Zauberhauses
Hellgestirnter Lichterhimmel
Oeffnet dem entzückten Auge
Seine weite, schöne Wölbung,
Und in magischer Beleuchtung
Seh′ ich unterm wilden Sturme
Bacchischer Musik die Welt
Eines holden Traumes wogen.

Wie in nächtlichen Gesichten
Uns die Phantasie zuweilen
Tief in eines Berges Gründe
Durch den Schacht der Erde führet,
Und bei wundersamen Lichtern
Uns phantastische Gestalten
Und die allerschönsten Frau′n
Um die trunknen Sinne gaukeln:

Also dünk′ ich mir zu träumen;
Zwar es spukt die keckste Freude,
Scherz und Witz in hundert Masken,
Zwar es athmet allenthalben,
Schön und glühend, sinnlich Leben,
Mancher Nacken, mancher Busen
Mahnt an höchste Erdenlust
Uns berauschte, schwache Thoren.

Doch zu viel der süßen Reize
Schweben, schwellen uns entgegen,
Und in heißer Wollust möchte
Das gefang′ne Herz verschmachten.
Solchem Leben zu begegnen,
Müßt′ allein in unsern Adern
So viel Lebensfeuer glühn,
Als die tausende durchwallet.

Sieh bei raschgeschwungnem Tacte
Wie vom Wahnsinn hingerissen
Bunte Maskenpaare hüpfen!
Das ist erst der Schritt der Freude,
Hier und dort, und auf und nieder,
Wie vom lauten Sturm getrieben,
Der im Zauberhause braust
Unter der Trompete Schmettern.

Weiße freudentrunkne Mädchen,
Arlecchine und Doctoren,
Gärtnerinnen und Bajacci,
Und der plumpe Pulcinella,
Leichte Schäfer, farb′ge Türken,
Schwarzvermummte, schlanke Feen,
Alles in Mänadenwuth,
Saturnalischem Vergnügen.

Und des eignen Lebens denk′ ich,
Da voll frischer Kraft und Seele

Meiner Jugend Feuerströme
So gewaltig in mir rauschten,
Da sie alle kühn und muthig
In bacchantischer Bewegung
Schäumend sich hinabgestürzt
In den Ocean der Liebe.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Lieder des Römischen Carnevals - Sechstes Lied von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lieder des Römischen Carnevals – Sechstes Lied“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine lebendige Beschreibung der Atmosphäre und der Erfahrungen während des Karnevals in Rom. Es fängt die Energie, die Sinnlichkeit und die berauschende Freude dieses Festes ein, während es auch über die potenziellen Gefahren und die Vergänglichkeit dieser Erfahrungen nachdenkt.

Waiblinger zeichnet ein Bild von einer Nacht, in der Scherz und Spiel dominieren, und die im Licht der Sterne noch verlockender werden. Das Gedicht bewegt sich durch verschiedene Szenen des Karnevals: durch die Gassen, wo Masken und Schalkhaftigkeit herrschen, in eine Osteria, wo Wein und Geselligkeit locken, und zu den Darbietungen von Dichtern und Schauspielern. Der Dichter beschreibt die Vielfalt der Kostüme und Charaktere, von Pulcinella bis zu Bajaderen, und fängt die ekstatische Stimmung ein, die durch Musik, Tanz und die Anwesenheit von schönen Frauen verstärkt wird. Das Gedicht ist voll von Bewegung und Lebendigkeit, was die Intensität des Karnevals widerspiegelt.

Die Verwendung von Bildern wie „hellgestirnter Lichterhimmel“ und „bacchischer Musik“ verstärkt die Sinnlichkeit und den Rausch, der durch das Gedicht erzeugt wird. Waiblinger vergleicht das Karnevalserlebnis mit einem Traum, in dem Fantasie und Realität verschmelzen. Doch neben der Freude und dem Vergnügen klingen auch Töne der Reflexion an. Der Dichter scheint sich der Übersättigung und der potenziellen Gefahren der „süßen Reize“ bewusst zu sein, die ihn umgeben. Es gibt eine Ahnung von der Vergänglichkeit der Jugend und der Liebe, sowie ein Gefühl der Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Lebensgeister frei flossen.

Das Gedicht kulminiert in einem Gefühl der Erschöpfung und der Erkenntnis. Die „tausend Frauen“ und der „Ocean der Liebe“ stehen für die überwältigende Flut an Sinneseindrücken und Emotionen, die den Dichter umgeben. Das Gedicht ist nicht nur eine Feier des Karnevals, sondern auch eine Reflexion über das Leben, die Liebe und die Suche nach Erfüllung. Waiblinger fängt die Dualität des Karnevals ein: die Freude und den Rausch, aber auch die Melancholie und die Ahnung der Vergänglichkeit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.