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Lieder des Römischen Carnevals – Fünftes Lied

Von

Und als allerliebste Bäurin
Naht sie mir des andern Tages,
Gestern neckte Stab und Glocke,
Heut′ ein artig Blumenkörbchen,
Und im weißen Seidenhemde
Hüpft heran die wohl erkannte
Lüsterne Begleiterin
Mit dem wilden Tamburine.

Voller drängt sich′s heut als gestern,
Und von tausend lust′gen Bächen
Jetzt vergrößert, jauchzt und schäumet
Nun der Strom des Bacchanals;
Ja, der Gott ist im Gefolge
Seiner taumelnden Mänaden
Selbst gekommen, um dem Volk
Ganz die Sinne zu berücken.

Seht die schreienden Doctoren,
Wie sie ihre Weisheit pred′gen,
Einem hübschen Schelmenkinde
Hier den zarten Puls befühlen,
Mörderische Instrumente,
Köstliche Arzneien zeigen,
Wie der Apotheker sich
Durch des Mörsers Schall verkündet.

Hier wird ein Proceß geschlichtet,
Dort ein anderer verwickelt;
Mit der jungen Ehehälfte
Zeigt sich der Papa im Schlafrock,
Und der Schalk, der Pulcinella,
Ueber seine Schulter guckt er
Schon mit einem Horn und setzt
Ihm aufs Haupt die Narrenkappe.

Wandelnde Museen lassen
Ihre Raritäten sehen,
Seinen Bündel Maccaroni
Speist aus dem geheimen Topfe
Der Bajaccio, jener Kutscher
Trägt die Windmühl′ auf dem Hute;
Und am Zopfe flattert dem
Gar ein Dutzend Distelfinken.

Im zerlumpten Bettlerrocke,
Und gewalt′gem Lorbeerkranze
Wandelt der Poet. Da ruft es:
Platz gemacht! und mit der Brille,
Der Perrücke Lockenturme
Kommt der Graf einhergeschritten,
Und die derbe Römerwurst
Guckt ihm aus der Seitentasche.

Zu des Dudelsackes Schnarren
Singt hier der Campagnenbauer
Wohlerfundne Ritornelle
Jenen Damen an dem Fenster;
Mit liebäugelndem Gesichte,
Schmeichelnden Manieren wandelt
Dort ein schönes Kind; doch nein,
Ein vermummter hübscher Junge.

Sieh doch nur den schlauen Narren,
Auf der Kutschentreppe steht er,
Jener Brittin einen Spiegel
Vor die schlimme Larve haltend,
Oder dort den Rechtsgelehrten,
Wie er sich zum Advokaten
Einem blondgelocktem Schalk
In der Liebe Zwist empfiehlet.

Auf bekränzten vollen Wägen,
Unter schatt′ger Lorbeerlaube
Zieht bei Becherklang der Winzer
Frohe Schaar an uns vorüber;
Und die Tamburine schallen
Rauschend zu den Chorgesängen;
Unter frischen Burschen sitzt
Manches Kind mit vollem Busen.

Heute gilt′s, die Welt zu narren.
Heute gilt′s, genarrt zu werden!
Alle Thorheit auf der Erde
Hat sich schwesterlich versammelt;
Der Verstand, er schwingt mit Jauchzen
Heut′ die Pulcinellenkappe,
Und die Weisheit zeigt dem Volk
Ohne Scheu die Eselsohren.

Und des eignen Lebens denk′ ich,
Mancher schwergebüßten Irrung,
Mancher Thorheit, die ich offen
Im Triumph zur Schau getragen.
Aber still davon, wir dürfen
Heute keinen Narren schelten,
Und an eines Mädchens Arm
Gibt′s ja keine weitern Scrupel.

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Gedicht: Lieder des Römischen Carnevals - Fünftes Lied von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lieder des Römischen Carnevals – Fünftes Lied“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger zeichnet ein lebendiges Bild des Karnevals in Rom, das von Überschwang, Vergnügen und dem Aufheben konventioneller Regeln geprägt ist. Es beschreibt eine Welt, in der sich die sozialen Hierarchien auflösen und in der die Narrheit gefeiert wird. Der Dichter lässt den Leser in das bunte Treiben eintauchen, indem er eine Vielzahl von Szenen und Charakteren einführt, die die Vielfalt und den Reichtum des Karnevals veranschaulichen.

Die ersten Strophen etablieren die Atmosphäre des Karnevals als ein Fest der Freude und des Überflusses. Die „allerliebste Bäurin“ mit dem „Blumenkörbchen“ und die „lüsterne Begleiterin“ mit dem „wilden Tamburine“ verkörpern die sinnliche, fast ekstatische Natur des Festes. Die Metapher vom „Strom des Bacchanals“ unterstreicht den überwältigenden Charakter des Geschehens, das die Sinne überwältigt und die Menschen in einen Zustand der Ekstase versetzt. Die Anspielung auf den Gott Bacchus verstärkt diesen Eindruck und hebt die Verbindung des Karnevals zu antiken Festen der Freude und des Rausches hervor.

In den folgenden Strophen werden verschiedene Charaktere und Szenen dargestellt, die das Spektrum des Karnevals erweitern und die soziale Umkehr, die mit ihm einhergeht, verdeutlichen. Doktoren, Rechtsgelehrte, Poeten und der Adel treten alle in einer Weise auf, die die gewohnten sozialen Rollen auf den Kopf stellt. Die „schreienden Doctoren“ und der „blondgelockte Schalk“ in der Rolle des Advokaten demonstrieren die Verkehrung der Werte. Der Dichter selbst, im „zerlumpten Bettlerrocke“ mit einem Lorbeerkranz, symbolisiert die Auflösung der gesellschaftlichen Konventionen, während die Narrenkappe und das Tragen von Masken die Identitätsverschiebung unterstreichen.

Das Gedicht erreicht seinen Höhepunkt in der letzten Strophe, die die Essenz des Karnevals zusammenfasst. „Heute gilt’s, die Welt zu narren“ und „Heute gilt’s, genarrt zu werden!“ fassen die allgemeine Stimmung perfekt zusammen. Der Verstand feiert mit der Pulcinellenkappe, während die Weisheit die „Eselsohren“ zeigt, was die vorübergehende Aufhebung von Vernunft und Moral unterstreicht. Die abschließenden Zeilen deuten auf eine persönliche Reflexion des Dichters über seine eigenen „schwergebüßten Irrungen“ und „Thorheit“. Am Ende überwindet die Freude über das Vergnügen des Karnevals die Reue und wird durch die Arme eines Mädchens gefeiert, was die unbeschwerte Natur des Festes hervorhebt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.